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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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und auch aus einigen Häusern drang Licht, das aus der Ferne besehen wie Glühwürmchen wirkte, die sich im Gebüsch niedergelassen hatten.
    Noch nie zuvor hatte Rose ihre Heimat aus diesem Blickwinkel betrachtet. Nur einmal hatten sie in ihrer Kindheit Padang verlassen, um ihre Großmutter zu besuchen, die weit im Hinterland lebte. Nur noch schemenhaft konnte sich Rose daran erinnern, an das runzlige Gesicht ihrer Ahnin, an den Garten, der ihr so prachtvoll wie aus einem Märchen erschienen war. Außer diesen beiden Schlaglichtern war alles andere in Vergessenheit geraten.
    Aber sie wusste immerhin noch, dass der Garten in Terrassen angelegt war und dass man, wenn man auf der obersten Stufe stand, das gesamte Dorf überblicken konnte.
    »Sie scheinen den Ausblick zu genießen.«
    Rose wirbelte herum. Zunächst konnte sie den Mann, der den schmalen Weg hinaufkam, nicht erkennen. Doch als er näher kam, fiel Mondlicht auf sein Gesicht, und sie sah nun, dass es sich um den Engländer handelte, den sie am Rand des Publikums gesehen hatte – den Sonnenmann. Ohne dass sie genau wusste, warum, begann ihr Herz auf einmal wild zu pochen.
    »Ja, er ist traumhaft. Er erinnert mich an …« Rose stockte. Nein, das wollte sie ihm nicht erzählen. Die Erinnerung an den Garten ihrer Großmutter, den sie nur ein einziges Mal als Kind gesehen und dann in ihrer Fantasie immer weiter ausgeschmückt hatte, gehörte ihr ganz allein.
    Außerdem, was suchte er hier?
    »Woran erinnert er Sie?«, fragte er, ohne sich zu rühren. Fast schien es, als hielte er sie für eine Erscheinung, die verschwinden konnte, wenn er ihr zu nahe kam.
    »An einen Ort meiner Kindheit. Es ist nicht weiter wichtig. Was führt Sie hinaus in den Garten?«
    »Ich war auf der Suche nach Ihnen.«
    »Auf der Suche nach mir?«
    »Ich hatte vorhin keine Gelegenheit, mit Ihnen zu sprechen – und auch das Gefühl, dass Sie sich im Kreise Ihrer Bewunderer nicht wohl gefühlt haben.«
    Rose spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, und war froh, dass man es im Mondlicht wahrscheinlich nicht sehen konnte. »Ich bin Musikerin und keine Schauspielerin. Diese mögen sich in der Rolle der Bewunderten vielleicht wohl fühlen. Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich ganz in meiner Musik versinke.«
    »Das hat man Ihnen beim Spielen angesehen. Vivaldi gehört zu den Lieblingskomponisten meiner Mutter. Und wer kennt nicht die ›Vier Jahreszeiten‹?«
    »Sie sind meine Lieblingsstücke, der Winter und der Frühling. Aber wollen Sie mir nicht erst einmal verraten, mit wem ich mich unterhalte?«
    »Oh, verzeihen Sie, ich wollte nicht unhöflich sein.« Der Engländer wirkte ein wenig verlegen, als er sich kurz verneigte. »Ich bin Paul Havenden. Lord Paul Havenden, wenn man es genau nimmt, aber an meinen Titel habe ich mich bisher noch nicht so recht gewöhnt.«
    »Es ist mir ein Vergnügen.« Rose reichte ihm die Hand, die er ganz sanft in seine nahm und leicht küsste.
    »Nun, da die Formalitäten geklärt sind, können wir ja mit der Musik fortfahren. Sie sagten, dass Sie Vivaldi mögen.«
    »Eigentlich mag ich jede Art gut geschriebener Musik, die ich auf meiner Geige spielen kann«, entgegnete Rose ­lächelnd. »Tschaikowsky ist neben Vivaldi mein Lieblingskomponist. Und nicht zu vergessen Mozart. Welche Komponisten bewundern Sie?«
    Havenden setzte ein etwas betretenes Lächeln auf. »Ich fürchte, Sie würden mich für einen Banausen halten. Ich liebe die Musik, aber ich habe nicht sehr viel Ahnung davon. Vivaldi, ja, den erkenne ich. Wahrscheinlich auch Mozart, aber das war es dann auch schon. Ich musste mich schon früh um unser Gut in England kümmern, da blieb nicht viel Zeit für geistige Erbauung. Dennoch kann ich mich einiger Dinge erfreuen, die einem einfachen Bauern zu erleben nicht vergönnt sind. Beispielsweise, Sie hier spielen zu hören.«
    »Wenn der einfache Bauer genug Geld hätte, um es für eine Eintrittskarte auszugeben, könnte er auch in die Music Hall gehen und meinem Spiel lauschen. Mittlerweile ist Kunst nicht mehr nur was für die Oberklasse.«
    Der Engländer lächelte sie breit an. »Ich gebe mich geschlagen. Und verspreche hoch und heilig, dass ich mich mehr der Kunst widmen werde.«
    Rose wusste, dass er das nicht tun würde. Sobald er wieder in England wäre, würden ihn die Pflichten wieder so einnehmen, dass er das Konzert schnell wieder vergaß. »Und was führt Sie hierher, Lord Havenden?«
    »Geschäfte«, entgegnete er unverwandt.

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