Der Mondscheingarten
»Mijnheer van Swieten möchte mir die Beteiligung an einer Zuckerrohrplantage nördlich der Stadt vermitteln. Ein Bekannter von ihm führt sie und hätte nichts gegen englische Beteiligung einzuwenden. Er ist ein alter Freund meines verstorbenen Vaters. – Und Sie sind auf Tournee?«
Rose nickte. »Mein Agent hat es sich in den Kopf gesetzt, dass ich, bevor wir in die Neue Welt aufbrechen, die Zeit damit verbringen soll, gekrönte Häupter Asiens zu unterhalten. Und natürlich auch die hier lebenden Weißen. Ich war bereits in Siam, Burma, China, Japan, und nun bin ich hier.«
»Da haben Sie vermutlich mehr gesehen als ich in meinem ganzen Leben.« Havenden stieß ein raues Lachen aus. »Ich habe bisher nur von den Geschichten meines Vaters zehren können.«
»Sie haben England noch nie zuvor verlassen?«
So etwas konnte sich Rose nicht vorstellen. Was gab es – außer den manchmal verschneiten Wintern – denn Reizvolles an England? Wenn ihre Tournee vorüber war, wollte sie sich vorerst in Paris niederlassen – es sei denn, sie wurde bis dahin nach Amerika eingeladen.
»Doch, natürlich habe ich das«, antwortete Havenden. »Ich war in Europa unterwegs, in Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien. Aber das hier ist mein erster Besuch in einem außereuropäischen Land.«
»Und wie gefällt es Ihnen?«
»Es ist grandios! Was sonst sollte ich einer Tochter dieses Landes denn antworten?« Er blickte ihr tief in die Augen, beinahe zu tief, wie Rose fand. Verwirrt wich sie zurück.
»Die Wahrheit«, antwortete sie, schroffer, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte.
»Die Wahrheit ist, dass ich dieses Land wirklich wunderbar finde. Mein Vater hatte hier etliche Freunde und hat immer von den grünen Urwäldern und den exotischen Blumen geschwärmt. Und von der Schönheit der Frauen, was, wie Sie sich vielleicht denken können, bei meiner Mutter nicht ganz so viel Anklang gefunden hat.«
Er lachte kurz über seinen Scherz, dann setzte er hinzu: »Als ich herkam, waren meine Erwartungen natürlich sehr hoch, aber ich wurde nicht enttäuscht. Und wenn alles gutgeht, werde ich schon bald Teilhaber einer Zuckerplantage sein. Dann werde ich dieses Land hoffentlich öfter besuchen können.«
Einen Moment lang sahen sie sich schweigend an, dann ertönte hinter ihnen ein Ruf: »Paul?«
Havenden zuckte kurz zusammen, als würde man ihn unsanft aus einem Traum herausreißen. Rose sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Meine … Verlobte«, erklärte er hastig und verneigte sich dann zu einem Handkuss. »War mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Miss Gallway.«
»Ganz meinerseits«, entgegnete sie, worauf er sich umwandte und zu der Frau ging, die zwischenzeitlich erneut nach ihm gerufen hatte.
Rose wusste nicht warum, aber irgendwie machte es sie traurig, ihn fortgehen zu sehen. Er mochte nicht viel Ahnung von Musik haben, aber es war etwas an ihm, das sie überaus interessant fand.
Als sie sich wieder dem Ausblick zuwandte, hatte sich die Mondsichel ein Stück von den Palmen wegbewegt und strebte nun dem dunkel bewaldeten Berg zu.
»Offenbar hat der junge Mann Gefallen an dir gefunden.«
Rose wirbelte herum. Es gehörte zu Carmichaels unangenehmen Angewohnheiten, dass er manchmal wie aus dem Nichts hinter ihr auftauchte, nachdem er sie heimlich belauscht hatte.
»Was soll das?«, fragte sie unwirsch. »Warum schleichst du dich wie ein Dieb an mich heran?«
»Ich schleiche doch nicht! Ich wollte nur nicht bei eurer Unterhaltung stören.«
Rose schoss das Blut in die Wangen. Wie viel von ihrem Gespräch hatte er mitbekommen? Nicht, dass Havenden anzüglich geworden wäre, aber dennoch hatte sie ein Gefühl, als hätte Carmichael sie bei etwas Intimem beobachtet.
»Er hat mir nur seine Bewunderung ausgesprochen, sonst nichts. Außerdem hat er eine Verlobte.« Warum fügte sie das hinzu? Und warum verspürte sie dabei so ein seltsames Brennen in der Magengegend?
»Ich habe mit van Swieten gesprochen«, kam Carmichael endlich zur Sache, während er mit in den Hosentaschen versenkten Händen auf sie zukam. »Er ist mehr als begeistert von dir – und mehr als enttäuscht, dass du dich nicht auf dem Fest sehen lässt. Er würde sein Gespräch mit dir gern noch weiterführen.«
So, wie seine Augen bei diesen Worten blitzten, konnte ihr Agent das unmöglich ernst meinen. Künstler wurden als solche engagiert, und es wurde normalerweise erwartet, dass sie sich nach dem Auftritt diskret
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