Der Mondscheingarten
fühle ich mich quasi dazu verpflichtet, Sie zu unterstützen. Ich werde in den kommenden Wochen zahlreiche ausländische Gäste begrüßen, unter anderem sehr einflussreiche Männer aus Europa, Asien und Amerika. Wenn diese Männer Ihr Geigenspiel hören, werden sie sicher begeistert sein und dafür sorgen, dass Ihr Name in aller Welt ruhmreich wird.«
»Daran arbeiten Mr Carmichael und ich bereits …«
»Aber es würde die Sache um so vieles leichter machen! Als Teil der musikalischen Welt brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen, dass es bei manchen Dingen nicht auf Talent und Können ankommt, sondern um Beziehungen und die richtige Hand zur richtigen Zeit. Ich verfolge Ihren Werdegang schon seit dem Tag, als ich hörte, dass eine junge Frau aus Padang die Konzertsäle in Unruhe versetzt. Einige Menschen mögen mich vielleicht für roh halten, doch wenn es etwas gibt, das ich bedingungslos liebe, sind das meine Familie und die Musik. Ihr Spiel fasziniert mich, und nach allem, was ich bisher von Ihnen gehört habe, bin ich der Meinung, dass ich Ihnen ein wenig Förderung angedeihen lassen sollte.«
Worauf wollte er hinaus? Rose konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass seine Gönnerhaftigkeit an eine Bedingung geknüpft sein würde. Eine, auf die sie sich vielleicht nicht einlassen wollte.
»Wie ich es Mr Carmichael bereits gesagt habe, möchte ich, dass Sie zehn Konzerte hier in Padang spielen, bevor Sie Ihre Tournee fortsetzen. Ihr Agent versicherte mir, dass dies möglich sei.«
Zehn Konzerte! Carmichael hatte von einigen gesprochen, dass es zehn sein würden, hätte sie nicht gedacht. Ließ das ihr Tourneeplan überhaupt zu?
»Das ist in der Tat möglich«, entgegnete Rose, während sie immer nur denken konnte: Amerika! Wie lange träumte sie schon davon, in New York zu spielen!
Würde wirklich jemand zu Gast sein, der sie dorthin bringen konnte? Nur was war der Preis?
»Und was stellen Sie sich als Gegenleistung vor?«, fragte Rose ein wenig beklommen.
Van Swieten betrachtete sie einen Moment lang, dann lächelte er. »Nicht das, was Sie vielleicht denken. Nein, ich muss zugeben, dass es nur eines gibt, das ich als Gegenleistung will. Werden Sie so berühmt wie möglich und erzählen Sie allen, woher Sie kommen, damit die gesamte Welt erfährt, dass es unsere schöne Insel gibt. Und sehen Sie mich als einen väterlichen Freund, nichts weiter.«
Rose schämte sich nun dafür, dass sie etwas anderes gedacht hatte. So lange sie auf der Bühne stand, hatte es immer Versuche irgendwelcher Männer gegeben, sich ihr durch den Vorschlag, sie zu fördern, in unmoralischer Weise zu nähern. Offenbar war der Holländer eine Besonderheit.
»Das verspreche ich Ihnen«, sagte sie, worauf van Swieten ihr die Hand reichte.
Als sie in den Saal zurückkehrte, bemerkte sie nicht weit von sich entfernt Paul Havenden, die zierliche Frau an seinem Arm war offenbar seine Verlobte, von der er gesprochen hatte, jedenfalls schloss sie das aus den Blicken, die diese ihm zuwarf.
Schlag ihn dir aus dem Kopf, sagte sie sich und eilte dann zu Carmichael, der gewiss darauf brannte zu hören, was sie von dem Gespräch mit dem Gouverneur berichtete.
10
London 2011
»Das Herunterziehen des Films dürfte kein Problem sein«, tönte Sunnys Stimme durch den Hörer. Unter Lillys telefonischer Anleitung hatte sie die Kamera abgebaut und die Speicherkarte entfernt. »Allerdings sind das sehr viele Stunden Film. Du solltest hin und wieder mal was löschen.«
»Kann man keinen Schnelldurchlauf machen? Ich brauche eigentlich nur den Teil, in dem dieser Mann mit dem Geigenkasten auftaucht.«
Kurz hatte Lilly Sunny umrissen, worum es ging. Natürlich hatte Sunnys Fantasie gleich verrückt gespielt, und sie vermutete nun, dass dieses Instrument »heiße Ware« war, die der alte Mann schnell unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand hatte loswerden wollen.
»Und wozu brauchst du den, wenn du der Meinung bist, dass die Geige nicht gestohlen ist?«
Lilly seufzte. Sie hätte wissen müssen, dass Sunny nachbohren würde.
»Ich möchte meine Mutter fragen, ob sie den Mann kennt. Ist so ein Familiending. Aber bevor du jetzt noch weiterfragst, nein, ich sag dazu nichts mehr. Du würdest mir doch sicher auch nicht deine ganze Familiengeschichte erzählen, oder?«
»Ach, da gibt es nicht viel zu erzählen. Die typische Spießerfamilie eben. Du müsstest mal sehen, wie die mich anschauen, wenn ich ihnen ein neues Tattoo
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