Der Mondscheingarten
zeige.«
»Allmählich müssten sie sich doch schon an den Anblick gewöhnt haben.«
»Eigentlich schon, aber ich versichere dir, jedes neue Bild ist wieder ein Schock für sie. – Aber okay, ich schau mir den Film gleich mal an. Ist eh gerade tote Hose in deinem Laden, sorry.«
Lilly zuckte mit den Schultern. »Schon gut, was anderes hätte ich auch nicht erwartet. Kannst du mir das Filmchen schicken, wenn du es hast?«
»Ich versuch’s zumindest. Sonst brenne ich es auf CD .«
»Und dass du die Kamera wieder anbaust, wenn du fertig bist. Ich möchte nicht gerade dann ausgeraubt werden, wenn nichts aufgenommen werden kann.«
Sunny schnaufte, als bezweifele sie, dass sich irgendwer an ihren Antiquitäten vergreifen würde. Dann sagte sie: »Keine Sorge, Lilly, ich hab alles im Griff. Und wenn hier doch wer ankommt und mich ausrauben will, werde ich …«
»… ihm doch hoffentlich nichts über den Schädel hauen!«
»Nee, die Polizei rufen, ist doch klar.«
»Braves Mädchen!« Lilly holte kurz Luft, dann setzte sie hinzu: »Hättest du übrigens was dagegen, den Laden vielleicht noch für zwei weitere Wochen zu übernehmen? Meine Freundin meint, die Bestimmung meiner Geige könnte noch ein Weilchen dauern. Ich verdoppele auch den Betrag, den wir ausgemacht haben, und leg dir eine kleine Prämie drauf.«
»Kein Problem, meine Semesterferien gehen noch bis April, solange kann ich hierbleiben.«
»So lange werde ich nicht brauchen«, entgegnete Lilly. »Außerdem musst du noch was von deinen Ferien haben. Dein Tattoostudio meldet dich sonst noch als vermisst.«
»Nee, keine Bange, ich schreib denen auf Facebook, die vermissen mich schon nicht. Und ich schmeiß wirklich gern deinen Laden. Stell dir vor, gestern hat ’ne alte Dame sogar was gekauft!«
»Also doch nicht ganz tote Hose?«
»Nee, hin und wieder kommt mal wer.«
»Gut, dann bin ich ja beruhigt. Denk an den Film, ja?«
»Mach ich. Bis dann, Lilly!«
»Mach’s gut, Sunny.«
Da Ellen ihr angeboten hatte, ihren Computer zu nutzen, ging Lilly ins Arbeitszimmer und fuhr das Gerät hoch. Insgeheim hoffte sie auf eine Nachricht von Gabriel, doch ihr Verstand sagte ihr, dass das unmöglich war. Er hatte einen vollen Terminkalender, und dass er sich ihrer am Vortag gleich angenommen hatte, war Glück gewesen.
Dennoch war sie ein wenig enttäuscht, als sie feststellte, dass das Postfach zwar voll war, aber abzüglich der Werbung und des Spams nur eine Mail ihres Vaters übrigblieb, der sich danach erkundigte, wie es ihr ging, und kurz über einen Ausflug berichtete, den er demnächst mit seinen Vereinsbrüdern unternehmen wollte.
Kurz spielte Lilly mit dem Gedanken, ihn auf diesem Wege nach dem alten Mann zu fragen, doch etwas hielt sie davon ab. Ich brauche das Video, sagte sie sich. Es wird besser sein, ihnen den Mann zu zeigen, anstatt sie mit irgendwelchen Geschichten zu beunruhigen.
Also schrieb sie nur, dass sie für ein paar Tage zu ihrer Freundin nach London gefahren sei und sich melden würde, sobald sie wieder zu Hause war.
Kurz nachdem sie die Mail abgeschickt hatte, läutete das Haustelefon. Wollte jemand etwas von Ellen? Oder rief Sunny noch mal zurück?
Ein Blick aufs Display sagte ihr, dass es nicht Sunny war, die anrief. Es war eine Londoner Nummer.
»Kaiser«, meldete sie sich.
Überraschenderweise meldete sich zunächst eine schneidende Frauenstimme.
Der Vorzimmerdrache, schoss es ihr durch den Kopf. »Miss Kaiser? Einen Moment, ich verbinde Sie mit Mr Thornton.«
Lilly schlug die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzujubeln. Er rief sie an! Plötzlich pochte ihr Herz wie wild.
»Miss Kaiser?«, fragte die Sekretärin, die eine Reaktion erwartet hatte.
»Ja, ich bin noch dran. Danke fürs Verbinden.«
Eine Antwort kam darauf nicht, stattdessen dudelte eine kleine Melodie, die Lilly aber nur kurz ertragen musste.
»Lilly, hallo!«, tönte Thorntons Stimme gut gelaunt aus dem Hörer. »Ich hoffe, Sie haben einen Moment Zeit für mich.«
»Den habe ich natürlich. Wo sind Sie gerade?« Lilly hatte hinter den Worten ein leichtes Echo vernommen, genauso hatten sie sich angehört, als sie unten im Archiv waren.
»Ich stehe inmitten von uralten Wachswalzen und Schellackplatten«, erklärte Gabriel geheimnisvoll. »Und was meinen Sie, habe ich wohl hier gefunden?«
»Eine Aufnahme von Rose Gallway?«
»Ja, und zwar von dem ersten Konzert, das sie am 12. Juni 1895 in Cremona gegeben hat. Rose war damals gerade vierzehn,
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