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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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während er sich hinter den Tisch begab.
    Damit drückte er einen Knopf. Die Walze lief langsam an, das Rauschen war beinahe ohrenbetäubend, so dass Lilly fast schon glaubte, dass alles verdorben sei. Doch dann mischten sich die ersten Töne darunter. Die Einstellungen des Computers veränderten sie so, dass sie stärker hörbar waren.
    Lilly lächelte breit, als sie unter dem immer noch prominenten Rauschen die ersten Klänge der »Vier Jahreszeiten« erkannte. Frühling, das erkannte sie auf Anhieb, denn Vivaldi gehörte zu den wenigen klassischen Stücken, die sie jederzeit anhören, ja sogar mitsummen konnte.
    Das Spiel der Geigerin war überaus virtuos. Nun erkannte Lilly, was Ellen am Tag zuvor gemeint hatte – diese Interpretation besaß Seele, das konnte sogar jemand hören, der sich nicht so sehr für klassische Musik interessierte.
    Die Finger der Violinistin schienen nur so über das Griffbrett zu fliegen, Lilly wusste die Verzierungen in ihrem Spiel nicht zu benennen, doch es faszinierte sie, dass jemand derart schnell und geschickt Töne erzeugen konnte.
    Tatsächlich war die Aufnahme kurz, der »Frühling« schaffte es nur bis zu den Aprilstürmen, dann war es auch schon vorbei. Andächtiges Schweigen herrschte, auch die Leute, die mit dem Testen der Instrumente beschäftigt waren, hatten ihre Arbeit eingestellt, um zu lauschen.
    Thornton schüttelte nach einer Weile fassungslos den Kopf. »Kein Wunder, dass die Welt von ihr fasziniert war. Ich würde sagen, dass dies eine der besten Geigerinnen weltweit ist. Was meinen Sie, Bob?«
    »Nur Paganini spielte besser, würde ich sagen«, antwortete der Techniker, der ebenfalls sehr berührt war von diesem kurzen Stück Musik.
    »Und Sie, Lilly?«
    Gabriels Blick schien sie auf eine beunruhigend angenehme Weise zu durchbohren. »Es … es ist … es war wunderschön!« Lilly ärgerte sich über ihre Stammelei, doch Thornton nickte ihr lächelnd zu und wandte sich dann wieder an Henderson.
    »Wir können doch Miss Kaiser sicher eine Kopie der Aufnahme mitgeben, oder?«
    »Natürlich, aber das dauert einen Moment. Haben Sie noch so viel Zeit?«
    »Miss Kaiser wollte sich ohnehin noch ein paar Unterlagen zu Helen Carter mitnehmen«, antwortete Gabriel für sie.
    Lilly sah ihn erstaunt an. Wollte sie das? Gabriels Suche im Keller musste wohl sehr erfolgreich gewesen sein.
    »Dann ist ja gut«, sagte Henderson. »Ich bringe sie Ihnen ins Büro, Mr Thornton.«
    »Vielen Dank, Bob!«
    Damit geleitete Thornton Lilly wieder aus dem Tonlabor.
    »Sie haben also Unterlagen über Helen Carter für mich?«, fragte sie, als sie sich ein Stück von der Tür entfernt hatten. Gabriel nickte vielsagend. »Haben Sie die auch in der Kiste der hoffnungslosen Fälle gefunden?«
    »Glauben Sie mir nicht, dass es diese Kiste gibt?«
    »Doch, schon, aber werfen Sie alle unbrauchbar gewordenen Walzen und Platten dort einfach so hinein? Dann könnten Sie sie auch genauso gut entsorgen.«
    »Man entsorgt doch keine Geschichte!«, entrüstete er sich gespielt. »Wir heben auch die Walzen auf, die sich mit unseren jetzigen Mitteln nicht mehr auslesen lassen. Vielleicht werden irgendwann Verfahren entwickelt, mit denen es möglich ist, ihnen die alten Klänge zu entlocken. Die Kiste der ›Hoffnungslosen Fälle‹ ist mehr eine Box, in der jedes der vermeintlich hoffnungslosen Stücke ordentlich und sicher verpackt ist. So wie die Walze von Rose Gallway. Was für ein Fund!«
    Unten im Archiv hatte Gabriel ein paar Unterlagen auf einen Schreibtisch gestapelt.
    »Das sind also die Unterlagen zu Helen Carter.«
    »Ja, das sind sie. Ich hatte Ihnen doch erzählt, dass sie und ihre Familie bei einem Angriff auf ihr Schiff vor Sumatra ums Leben gekommen sind. Ich habe in den alten Aufnahme­büchern von Mrs Faraday nachgesehen und daraufhin ver­sucht, etwas über die Eltern herauszubekommen.«
    »War Sumatra nicht früher einmal niederländisch?« Lilly erinnerte sich entfernt an Stockpuppen, die ihr mal von einem Niederländer angeboten worden waren. Die Puppen waren sehr filigran gearbeitet gewesen, richtige kleine Meisterwerke – nur hatte sie sich nicht vorstellen können, sie mitten in Berlin zu verkaufen. Was aus ihnen letztlich geworden war, wusste sie nicht, aber der Niederländer hatte ihr erzählt, dass er sie von seinem Vater hatte, der früher eine Plantage auf Sumatra besessen hatte. Und dass sie dazu benutzt worden waren, um Schattentheaterstücke aufzuführen.
    »Nun war es

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