Der Mondscheingarten
nicht so, dass auf Sumatra nur Holländer gelebt hätten, es gab auch zahlreiche Deutsche, Franzosen und Engländer dort. Emily Faraday führte genau Buch über ihre Schülerinnen, und so wurde auch deren Herkunft und Familie vermerkt. Sie war recht umtriebig und suchte ihre Talente überall in der Welt, selbst in scheinbar so entlegenen Gegenden wie Sumatra, denn sie war der Meinung, dass die schönsten Blüten im Verborgenen gediehen. Rose Gallways Mutter stammte aus Sumatra, während ihr Vater Engländer war. Helen Carter war die Tochter von James und Ivy Carter. Mr Carter leitete eine englische Handelsniederlassung in Padang und war ein Freund von Piet van Swieten, dem damaligen Gouverneur der Insel.«
»Und wäre es möglich, dass Rose Gallway und Helen Carter miteinander bekannt waren? Vielleicht hat Helen bei ihr Geigenunterricht genommen!«
»Das wäre möglich, allerdings fehlt uns dafür der Beleg.«
»Aber wie sonst sollte Helen an die Rosengeige gekommen sein?«
»Vielleicht wurde Rose überfallen, und man hat ihre Geige verkauft, nachdem man sie verschwinden ließ.«
»Das wäre allerdings sehr gruselig.«
»Aber nicht ausgeschlossen. Warum sonst sollte sich Rose von ihrer kostbaren Geige getrennt haben?«
Lilly speicherte diese Fakten in ihrem Gedächtnis ab, hatte aber keine Ahnung, was sie damit anfangen sollte.
»Und Sie haben wirklich keine Ahnung, wo Rose Gallway abgeblieben sein könnte?«
»Nein. Einzig die Geige könnte uns wohl davon berichten, aber leider spuckt sie nur Töne und keine Worte aus.«
Damit suchte Gabriel kurz in seinem Stapel und zog schließlich einen Zettel hervor.
»Hier habe ich die wichtigsten Informationen über Helen und Rose zusammengetragen. Leider geben diese Fakten, Unterrichtsnoten und Anmerkungen der Lehrerinnen keinen Aufschluss darüber, ob eine von ihnen Ambitionen zum Komponieren gezeigt hatte. Doch ich würde wetten, dass sich der ›Mondscheingarten‹ irgendwo in Sumatra befindet – und eine dieser Frauen hatte einen Bezug dazu.«
Lilly betrachtete ihn prüfend. »Haben Sie das Stück mittlerweile gespielt?«
Das Lächeln, das über sein Gesicht huschte, gab ihr die Antwort, bevor es sein Mund tun konnte.
»Natürlich. Und wenn Sie wollen, spiele ich Ihnen gern meine Interpretation vor.«
»Ich bin ganz Ohr.«
Thornton lachte auf. »Ich habe meine Geige nicht hier. Und ich möchte noch ein bisschen üben.«
»Aha, und wann glauben Sie, sind Sie so weit?«
»Wenn Sie mir die Rosengeige bringen. Ehrlich gesagt habe ich ein bisschen darauf gehofft, dass dies schon heute der Fall sein würde.«
»Tut mir leid, Ellen untersucht sie noch immer.«
Thornton zwinkerte ihr zu. »Dann habe ich ja noch ein bisschen Zeit zum Üben.«
Als sie wieder in Thorntons Büro waren, wartete Hendersons Aufnahme bereits auf sie, fein säuberlich auf CD gespeichert. Außerdem hatte Thornton alles, was er über Rose Gallway und Helen Carter gefunden hatte, kopiert.
»Also, für diesen Gefallen schulden Sie mir was.« Thornton setzte wieder sein unverschämtes Lächeln auf, während er mit dem Jewelcase, in dem die CD steckte, vor seinem Gesicht herumwedelte.
»Und woran hatten Sie dabei gedacht?«, entgegnete Lilly.
»Ich dachte an eine persönliche Wiedergutmachung.«
Lilly überlief es heiß und kalt zugleich. Sie vermutete, dass Thornton ein anständiger Mann war, doch irgendwie klangen diese Worte zutiefst unanständig. Oder waren sie das nur in ihrer Fantasie?
»Und … was wäre das?«, fragte sie ein wenig unsicher.
»Wie wäre es, wenn wir uns mal zum Abendessen treffen? Sie zahlen natürlich.«
Sie konnte nichts dagegen tun, dass ihr ein beinahe erleichtert klingender Seufzer entschlüpfte. »O ja, natürlich, das wäre nur fair, nicht wahr? Also gut, ich lade Sie zum Essen ein. Allerdings müssen Sie mir sagen, wo es hier in London gute Lokale gibt, denn ich kenne mich ehrlich gesagt nicht so aus, und die Entschädigung soll doch angemessen sein, oder?«
»Ich werde meine Wünsche in einem Gourmetführer ankreuzen und Ihnen den zukommen lassen. Ich erreiche Sie doch noch immer bei Mrs Morris, oder?«
»Ja, natürlich.« Lilly spürte, dass ihre Wangen glühten. Einen Moment lang sahen sie und Gabriel sich schweigend an, dann lächelte sie verlegen. »Nochmals, vielen Dank.«
»Gern geschehen. Ich hoffe sehr, dass Sie etwas über unsere Rose und Ihre Geige herausfinden, ich glaube, das hat sie verdient.«
Lilly nickte, dann hupte draußen
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