Der Mondscheingarten
weiß, habe ich das nicht in den Akten. Der Krieg hat einige Unterlagen zerstört. Das ist ein toller Fund.«
»Wirklich?« Lilly schlug das Herz bis zum Hals. Warum war das so? Sie hatte ihm doch nur gesagt, dass sie das Bild gefunden hatte!
»Ein sehr toller sogar. Bitte bringen Sie mir eine Kopie mit, ja?«
»Das mache ich. Signore di Trevi wird uns den Text übersetzen.«
»Di Trevi?«
»Ellens Bekannter. Wir übernachten in seinem Palazzo, und er hat es geschafft, dass wir morgen noch einmal in die Zeitungen sehen dürfen. Darin standen auch ein paar Konzertkritiken, und vielleicht finden wir noch mehr über Rose.« Lilly musste sich bremsen. Du kannst die Worte nicht herunterrattern wie ein Sägewerk, sonst glaubt er noch, du hast eine Koffein-Überdosis.
»Das klingt alles wunderbar!«, gab Gabriel zurück. »Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass das nicht der einzige Grund ist, weshalb Sie mich anrufen.«
»Nein, ich …« Lilly stockte, als ihr aufging, wie er das gemeint haben könnte. Doch sie zwang sich zur Ruhe. »Ich wollte Sie fragen, ob Rose möglicherweise weitere Konzerte in Italien gegeben hat. Und wenn ja, wann. Wir könnten so leichter die Zeitungen ausmachen, in denen über sie geschrieben wird. Es sind ziemlich dicke Bücher, und es würde Wochen dauern …«
Lilly stockte, als sie das Gefühl hatte, Gabriel würde am Telefon lächeln.
»Das sollte kein Problem sein«, entgegnete er, und tatsächlich schwang in seinen Worten der Hauch eines Lächelns mit. »Allerdings bin ich bereits zu Hause.«
»Oh, bitte entschuldigen Sie, ich wollte nicht …«
»Da gibt es nichts zu entschuldigen, für Sie bin ich jederzeit erreichbar. Na ja, fast. Während des Unterrichts und Meetings gehe ich für gewöhnlich nicht ans Telefon.«
»Das ist verständlich …« Lilly fragte sich erneut, warum sie so verdammt unsicher war. Gabriel war so freundlich, da war das eigentlich gar nicht nötig …
»Haben Sie Zugriff auf einen Computer im Palazzo? Oder überbringt die Nachrichten der Hausgeist?«
»Ich glaube schon. Ich meine, das mit dem Computer. Den Hausgeist habe ich noch nicht gesehen.« Lilly kicherte bei der Vorstellung eines geisterhaften Butlers, der ihr eine ausgedruckte E-Mail auf einem Silbertablett reichte.
»Gut, ich maile Ihnen die Daten gleich morgen früh. Natürlich sind sie nicht vollständig, irgendwann hatte Mrs Faraday ihren Schützling aus den Augen verloren, aber was ich dahabe, bekommen Sie.«
»Danke, das ist sehr nett.«
»Jederzeit gern, Lilly.« Die Art, wie er ihren Namen aussprach, erfüllte sie mit einer Wärme, die sie das letzte Mal verspürt hatte, als sie mit Peter zusammen war. Und doch war es etwas völlig anderes.
»Also dann … gute Nacht … Gabriel.«
»Gute Nacht, Lilly. Und denken Sie dran, aus Cremona zurückzukommen. Ich freue mich darauf, wieder mit Ihnen zu sprechen.«
Damit legte er auf. Lilly behielt das Handy noch einen Moment am Ohr, auch wenn das Gespräch bereits beendet war. Ihr Herz pochte noch immer, und es machte den Anschein, als wollte es nie mehr damit aufhören. Genauso hatte sie damals gefühlt, als sie Peter kennengelernt hatte. Und wahrscheinlich war sie auch so nervös gewesen. Das war alles schon so lange her …
Den kurzen Anflug von Trauer verdrängend, legte sie das Handy neben sich auf das Bett und bemerkte kurz vor dem Einschlafen, dass sie über das ganze Gesicht lächelte.
Später, im Traum, fand sie sich in einer Garderobe wieder, wie sie sie aus alten Theaterfilmen kannte. Ein großer Spiegel dominierte den Raum, an den Türen eines altertümlichen Schrankkoffers hingen ein Morgenmantel und zwei Kleider – Kleidungsstücke einer erwachsenen Frau.
Umso überraschter war Lilly, als sie aus einer der Raumecken das Lachen eines Kindes vernahm. Als sie zur Seite blickte, sah sie in das Gesicht eines etwa sieben oder acht Jahre alten Mädchens, das entfernt Ähnlichkeit mit Helen Carter hatte. Jedenfalls hatte sie dieselben dichten schwarzen Locken.
»Suchst du was?«, fragte die Kleine überhaupt nicht schüchtern.
Lilly wusste zunächst nicht, was sie sagen sollte. »Ich … ich …«, stammelte sie, doch dann flossen die Worte in ihren Mund zurück. »Ich suche nach Rose.«
»Ich bin Helen«, antwortete die Kleine kichernd.
»Aber du bist doch ein Kind!«
»Warst du denn keins?«, fragte die Kleine zurück und hopste zu dem Tisch, auf dem ein Geigenkoffer lag.
»Doch, ich war eins. Aber …«
Was
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