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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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meine Mutter, die sich vom Herd zum Krankenbett und wieder zurück schleppte, Stunde um Stunde, den ganzen Tag lang und bis tief in die Nacht, und wenn sie es schließlich nicht mehr aushielt und für ein paar Minuten unruhigen Schlafs auf meinem Bett zusammenbrach, fiel mir diese Aufgabe zu. Meine eigene Angst, die im Frühstadium der Krankheit in mir brannte und dauerhaft nicht aufrechtzuerhalten war, löste sich in einen anhaltenden, nagenden Schmerz auf, eine Unterströmung von Besorgnis unter abstumpfender Ermattung und fatalistischer Furcht. Ein Kind hat wenig Verteidigungsmittel gegen den Anblick eines daniederliegenden Elternteils. Eltern sind, wie die Erde unter unseren Füßen und die Sonne über unseren Köpfen, unveränderliche Objekte, ewig und verlässlich. Sollte einer von ihnen stürzen, wer wollte sich da noch dafür verbürgen, dass nicht die Sonne selbst eines Tages brennend ins Meer stürzt?
    Der Sturz erfolgte während einer jener mitternächtlichen Ruhepausen meiner Mutter, nachdem sie sich in mein Zimmer zurückgezogen hatte, um ein paar Minuten Schlaf zu ergattern. Ich war nach draußen zum Schuppen gegangen, in dem wir unser Brennholz lagerten, um Nachschub für den Herd zu besorgen, und kam gerade in die Küche zurück, als ich meinenVater sah, der zum ersten Mal seit Tagen das Bett verlassen hatte. Seit dem Ausbruch seiner Krankheit hatte er zwanzig Pfund abgenommen und sah in seinem weiten Nachthemd, das die spindeldürren Beine frei und das blasse Fleisch im Lampenlicht glänzen ließ, aus wie ein Gespenst. Er stand wacklig am Herd, in den eingesunkenen Augen einen Ausdruck tiefer Verwirrung. Er schrak zusammen, als ich leise seinen Namen rief, drehte das skelettartige Gesicht in meine Richtung und sagte zischend: »Es brennt. Es brennt .« Er streckte mir einen seiner abgemagerten Arme entgegen und sagte: »Sie wollen mich nicht in Frieden lassen. Schau!« Dann, während ich in stummem Entsetzen zusah, fuhr er mit dem Fingernagel über eine der Eiterbeulen und brach die geschwollene weiße Mitte auf. Eine sich windende, fadenartige Masse farbloser Würmer ergoss sich aus der Wunde, keiner dicker als ein menschliches Haar. »Sogar meine Zunge«, jammerte er. »Wenn ich spreche, platzen die entzündeten Stellen auf und ich schlucke sie.« Mein Vater fing an zu weinen, und seine Tränen waren blutig und voller Würmer.
    Abgestoßen und bestürzt blieb ich wie angewurzelt stehen. Ich hatte keinen Zusammenhang, in dem ich sein Leiden hätte verstehen können, und nicht die Macht, es zu lindern. Ich wusste nicht, welche Sorte von Geschöpfen in seinen Körper eingedrungen war und ihn jetzt von innen attackierte. Ich stand noch nicht unter der Vormundschaft des Doktors und kannte das Wort »Monstrumologie« noch nicht. Ich wusste, was Monster waren, sicher – welches Kind weiß das nicht? –, aber wie alle Kinder stellte ich mir, wenn ich an Monster dachte, schreckliche, missgebildete Bestien vor, die eine einzige Eigenschaft charakterisierte: ihre enorme Größe. Doch Monster, weiß ich jetzt, kommen in allen Gestalten und Größen vor, und einzig ihr Verlangen nach menschlichem Fleisch definiert sie.
    »Sie töten«, murmelte mein Vater als Nächstes, kein an mich gerichteter Befehl, sondern ein Schluss, zu dem er in seinem eigenen fiebrigen Verstand gekommen war. »Sie töten.«
    Bevor ich reagieren konnte, riss er die Ofentür auf und griff mit der bloßen Hand in das weiß glühende Innere, nahm ein schwelendes Holzscheit heraus und presste das brennende Ende auf die selbst zugefügte Wunde am Arm.
    Er warf den Kopf zurück und stieß einen schauerlichen Schrei aus, aber ein Wahnsinn, der stärker als die Schmerzen war, lenkte seine Hand. Die Flammen leckten am Ärmel seines Nachthemds, der Stoff fing Feuer, und in Sekundenschnelle war mein Vater von einem Totenhemd aus Flammen umgeben. Sein verbrennendes Fleisch riss auf wie Verwerfungen in der Erde bei einem Erdbeben. Sonderbar blutlose Risse rasten von Beule zu Beule, und aus diesen Spalten ergossen sich die Kreaturen, die ihn befallen hatten. Sie stürzten in Kaskaden aus seinen weinenden Augen; sie strömten aus seiner Nase; sie ergossen sich aus seinem Mund. Er wich zurück an die Spüle, und das heißhungrige Feuer sprang auf die Vorhänge über.
    Ich schrie nach meiner Mutter, während Rauch und der Gestank nach brennendem Fleisch den kleinen Raum erfüllten. Sie kam in die Küche gestürzt, in den Händen eine meiner Decken,

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