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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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zurücklächelte.
    »Huch! Du hast recht, kein Kind – vielmehr ein feiner junger Mann! Weißt du, was mich, glaub ich, getäuscht hat, William Henry? Es ist dieser Hut! Er ist viel zu klein für einen stattlichen jungen Mann wie dich. Ein ausgewachsener Mann sollte den Hut eines ausgewachsenen Mannes haben!«
    Er hielt mit einer Hand meinen kleinen Hut fest und drückte mir mit der anderen seinen großen Schlapphut auf den Kopf. Er fiel mir über Augen und Nase, sehr zu seinem Ergötzen; sein Glucksen wurde lauter, und die Nachbeben seiner Heiterkeit brachten die Karre zum Schwanken. Ich schob den Hut zurück und sah ihn über mir aufragen, sah die geisterhafte Gestalt sich gegen den samtenen Himmel abheben, und auf ihrer Glatze thronte jetzt mein eigener winziger Hut. Ich musste unwillkürlich in sein Gekicher einstimmen.
    »Was meinst du, Will Henry? Stimmt es, dass Kleider Leute machen? Denn ich fühle mich jetzt tatsächlich fünfzig Jahre jünger – heiliger Bimbam, das tu ich!«
    Der ungeduldige Ruf des Doktors störte unsere Ausgelassenheit.
    »Will Henry, hol die Fackel und bring die Pflöcke her! Mach fix, Will Henry!«
    »Zurück zur Tagesordnung, Mr. Henry«, sagte der alte Mann mit einem Anflug von Traurigkeit in der Stimme. Er tauschte unsere Hüte, zog meinen heftig herunter, als er wieder auf meinem Kopf saß, und hob dann sanft mein Kinn an, um mir in die Augen zu sehen.
    »Du hältst mir den Rücken frei und ich dir, Will Henry. In Ordnung? Haben wir eine Abmachung?«
    Er bot mir seine Hand an, die ich ergriff und schnell drückte, ehe ich auf den Boden sprang. Der Doktor hatte gerufen, und natürlich würde ich gehen. Ich griff in die Karre und zog eine Fackel und das Pflockbündel aus dem Haufen unserer Ausrüstung heraus. Als ich am Fuß von Eliza Buntons Grab zu ihm stieß, war Warthrop auf Händen und Knien, die Nase zwei Zoll von der frisch umgegrabenen Erde entfernt, und schnüffelte wie ein Bluthund nach einer schwer fassbaren Beute. Ein bisschen außer Atem stand ich unbeachtet vor ihm, die Fackel in der einen, die Pflöcke in der andern Hand, und wartete auf weitere Anweisungen, während er mit geschlossenen Augen und vor Konzentration gefurchter Stirn bis auf den Grund seiner Lunge einatmete.
    »Ich bin ein Narr, Will Henry«, sagte er schließlich, ohne den Kopf zu heben oder die Augen zu öffnen. »Denn nur ein Narr glaubt alles, was er sieht und hört, ohne zu hinterfragen.«
    Er neigte den Kopf in meine Richtung, ohne ihn auch nur einen Zoll zu heben, und seine Augen klappten auf.
    »Eine angezündete Fackel, Will Henry.«
    Beschämt machte ich auf dem Absatz kehrt, nur um mich auf seine barsch hervorgestoßenen Worte hin sofort wieder umzudrehen: »Lass die Pflöcke da, zünd die Fackel an und bring sie mir wieder! Mach fix, William Henry! «
    Der alte Erasmus Gray war von der Karre geklettert und lehnte bei meiner atemlosen Rückkehr an der Seite; in seinen Armen hielt er zärtlich die Winchester. Ausdruckslos sah er zu, wie ich im Ausrüstungssack nach der Streichholzschachtel herumtastete. Er lehnte das Gewehr an die Karre, holte eine Pfeife und einen Tabaksbeutel aus seiner Tasche und begann, den Pfeifenkopf mit Tabak zu stopfen, indes ich mich mit wachsender Panik durch den Inhalt des Sacks wühlte und mir die Erinnerung daran, wie ich die Schachtel vom Kaminsims genommen hatte, schmerzlich deutlich vor Augen stand. Aber hatte ich die Schachtel in den Sack getan, oder hatte ich sie an der Hintertür zurückgelassen?
    »Wonach suchst du denn, Junge?«, erkundigte sich Erasmus, während er ein Streichholz aus der Tasche zog und an der Sohle seines alten Stiefels anzündete. Ich warf einen Blick zu ihm hoch und schüttelte den Kopf, während mir die Tränen in die Augen stiegen. Von allen Dingen, die ich zu Hause vergessen konnte – ausgerechnet die Streichhölzer! Der alte Mann brachte die Flamme mit dem Pfeifenkopf in Berührung, und das süße Aroma der Tabakblätter durchdrang die Luft.
    »Will Henry!«, rief der Doktor.
    Nicht mehr als zwei Sekunden verstrichen, bevor ich erkannte , was ich sah, und sofort erbat ich mir ein Streichholz von dem alten Mann. Mit zitternder Hand entzündete ich die Fackel und trabte zum Doktor zurück, und auf einmal hatte sein Vortrag über Panik und Furcht bei mir fruchtbaren Boden gefunden: Dass ich den Kopf verloren hatte, hatte mich blind für das Offensichtliche gemacht.
    Er nahm mir die Fackel aus der zitternden Hand und sagte: »Wer

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