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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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gebettet, die die dunkle Umarmung des Todes in den ersten Dekaden des achtzehnten Jahrhunderts erfahren hatten. Meine eigenen Eltern waren dort beerdigt, ebenso wie das Geschlecht des Doktors; tatsächlich war das Warthrop-Mausoleum das größte und beeindruckendste Gebäude auf der Anlage. Es lag auf dem höchsten Punkt, genau auf der Hügelkuppe, und war von jedem Grabstein und jeder Gedenktafel auf dem Friedhof aus zu sehen, eine dunkle gotische Burg in Miniaturausgabe, die über den kleineren Stätten wie der Wohnsitz eines mittelalterlichen Prinzen zu thronen schien. Und in gewissem Sinne waren die Warthrops die Prinzen von New Jerusalem. Der Ururgroßvater des Doktors, Thomas Warthrop, hatte ein Vermögen mit Transportgeschäften und Textilwaren verdient und war einer der Gründerväter der Stadt. Sein Sohn, der Urgroßvater des Doktors, amtierte sechs Amtszeiten lang als Bürgermeister. Ich habe keinen Zweifel daran, dass ohne die harte Arbeit und den starrköpfigen, knickrigen Neuenglandpragmatismus seiner Vorfahren Dr. Warthrop sich den Luxus nicht hätte gestattenkönnen, sämtlichen profanen Beschäftigungen abzuschwören, um ein »Philosoph der Monstrumologie« zu werden: Er hätte es sich andernfalls einfach nicht leisten können. Sein besonderer »Beruf« war in der Stadt ein offenes Geheimnis, über das viel getuschelt wurde, das von einem Viertel schlechtgemacht und vom Rest gefürchtet wurde. Aber er wurde, mit einigen wenigen Ausnahmen, in Ruhe gelassen – was, wie ich glaube, mehr dem Respekt zuzuschreiben war, den ihm der große, nahezu unerschöpfliche Reichtum eintrug, den seine Ahnen angehäuft hatten, als irgendeiner Wertschätzung seiner philosophischen Studien. Diese Haltung wurde auf vollendete Weise von dem kalten Steingrabmal widergespiegelt, das den Old-Hill-Friedhof dominierte.

    Erasmus Gray zog an den Eisentoren die Zügel an, und wir saßen einen Moment lang da, während die alte Mähre darum kämpfte, nach dem langen, gewundenen Anstieg zum Eingang wieder zu Atem zu kommen.
    »Meinen Revolver, Will Henry«, sagte der Doktor mit gedämpfter Stimme.
    Der alte Mann beobachtete, wie ich ihm die Waffe reichte, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sah schnell weg.
    »Sie haben doch eine Waffe dabei, hoffe ich«, sagte der Doktor zu ihm.
    »Meine Winchester«, erwiderte Erasmus Gray. »Hab noch nie was Größeres als ein Waldhuhn damit geschossen«, fügte er nachdenklich hinzu.
    »Zielen Sie auf den Bauch«, sagte der Doktor gelassen. »Genau unterhalb des Rachens.«
    »Das werde ich tun, Doktor«, antwortete Erasmus trocken, »falls ich gut zielen kann, während ich in die andere Richtung renne!«
    Wieder warf er einen Blick nach hinten auf meine zusammengekauerte Gestalt.
    »Was ist mit dem Jungen?«
    »Ich werde mich um Will Henry kümmern.«
    »Er sollte hier am Tor bleiben«, sagte der alte Mann. »Wir werden eine Wache brauchen.«
    »Ich könnte mir keinen schlechteren Platz für ihn vorstellen.«
    »Er kann mein Gewehr haben.«
    »Er bleibt bei mir«, sagte der Doktor bestimmt. »Will Henry, mach das Tor auf!«
    Ich hüpfte von der Karre. Vor mir waren die Tore und hinter diesen der Hügel mit seinen Reihen über Reihen von Grabsteinen, Gedenktafeln und Kreuzen, die nach oben zur Kuppe marschierten, welche hinter den Ästen alter Eichen, Eschen und Pappeln versteckt lag. Hinter mir, zur Gänze im Griff des Nebels, lag New Jerusalem, dessen Bewohner in süßem Vergessen schlummerten. Schwerlich wussten sie und konnten noch viel weniger ahnen, dass auf diesem erhöhten Stück Land, dieser Insel der Toten, die sich aus der See sanften Frühlingsnebels erhob, der die Lebenden umarmte, ein fleischgewordener Albtraum lebte, gegen den alle vom Schlaf geborenen Albträume verblassten.
    Erasmus Gray hielt die Karre auf dem kleinen Weg entlang der Mauer an, die die Anlage umschloss. Zu unserer Rechten lag die Mauer, zu unserer Linken die Toten und über uns der mondlose Himmel, der von Sternen wimmelte. Die Nachtluft war still, nicht der Hauch einer Brise, und friedlich unter dem gemessenen Klippklapp der Pferdehufe, dem Ächzen und Knarren der Räder und dem leisen Zirpen von Grillen. Der Weg war uneben, sodass die Karre sich von einer Seite auf die andere neigte, als wir darüberfuhren; der Leichnam neben mir schaukelte hin und her und kam mir wie die abscheuliche Parodie eines Babys in seiner Wiege vor. Der Grabräuber blickte unbeirrt nach vorn und hielt die Zügel locker in

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