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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Grabschänders an meinen Händen klebt? Vielleicht ist es so. Habe ich mich geirrt, was ihre Anzahl betrifft? Offensichtlich. Aber es war eine Schätzung, die auf allen zur Verfügung stehenden Daten fußte, die ihren Ursprung in der Logik hatte. Wären dieselben Tatsachen noch einmal gegeben, würde ich dasselbe Risiko noch einmal eingehen, denn ich erachtete Zeit als von entscheidender Bedeutung. Seine Entdeckung zwang mich zu schnellerem Handeln, als mir lieb gewesen war, und ich bin sicher, mit mehr Zeit für sorgfältige Überlegung hätte ich mich der Möglichkeit gestellt, dass sie sich vielleicht auf unvorhergesehene Weise an ihre neue Umgebung angepasst haben, was sie zweifelsohne getan haben. Aber du musst verstehen, Will Henry, ›Möglichkeit‹ ist nicht ›Wahrscheinlichkeit‹. Es ist möglich , dass am morgigen Tag die Sonne im Westen aufgeht, jedoch wohl kaum wahrscheinlich . Ich stehe zu meinerEntscheidung, auch wenn die Prämisse, die mich dazu geführt hat, sich als falsch herausgestellt hat.«
    Und nun legte der Monstrumologe mir die Hand auf die Schulter, und die Entschlossenheit, die in seinen Augen lag, milderte sich ein wenig. »Ich bedaure sein Ableben. Falls es dir ein Trost ist, so denke daran, dass er ein alter Mann war, der ein langes Leben hinter sich hatte – ein Leben in Leid und Entbehrung, möchte ich hinzufügen. Er wusste genau Bescheid; er akzeptierte die Gefahr voll und ganz; und ich habe nichts von ihm verlangt, das ich nicht auch von mir selbst verlangt habe. Ich habe ihn weder gezwungen, uns heute Nacht zu begleiten, noch habe ich von ihm gefordert, ein größeres Risiko in Kauf zu nehmen, als ich selbst bereit war einzugehen.«
    Vielleicht nahm er zur Kenntnis, dass mein Körper unter seiner Hand zitterte, denn er fügte Folgendes hinzu, wobei sein Blick wieder hart wurde: »Und ich muss sagen, Will Henry, es ist überaus merkwürdig, dass du über die Verrücktheit und Ungerechtigkeit seines Endes nachdenkst und nicht über dein eigenes Glück, über das Leben, das verwirkt gewesen wäre, hätte ich nicht seins beendet. Siehst du es? Fängst du an zu verstehen, weshalb ich sagte, er würde mir danken, wenn er könnte?«
    »Nein, Sir, tu ich nicht.«
    »Dann traue ich dir zu viel zu. Ich dachte, du wärst ein gescheiter Junge.«
    Ich schüttelte seine Hand von meiner Schulter ab und rief laut: »Ich verstehe es nicht! Vergeben Sie mir, Doktor, aber ich verstehe es ganz und gar nicht! Wir hätten heute Nacht nicht dorthin gehen dürfen. Wir hätten bis Tagesanbruch warten sollen, um sie zurückzubringen. Wenn wir gewartet und den Wachtmeister geholt hätten, dann wäre er vielleicht noch am Leben!«
    »Aber das sind nicht die Tatsachen«, erwiderte er ruhig. »Wir haben nicht gewartet. Wir haben nicht den Wachtmeister geholt. Es gelingt dir immer noch nicht, die wesentlichen Punkte hierbei zu erfassen, Will Henry. James Henry wäre esgelungen. Dein Vater hätte es verstanden – er hätte mich nicht gescholten oder verurteilt. Er hätte mir gedankt.«
    »Ihnen gedankt?«
    »Wie du mir jetzt danken solltest, weil ich dein Leben gerettet habe, Will Henry.«
    Das war mehr als ungehörig. Es verärgerte mich angesichts dessen, was meinem Vater als Folge seines bedingungslosen Dienstes für den Monstrumologen zugestoßen war. Sein Tod und der Verlust von allem, was mir lieb und teuer war, waren die Schuld dieses Mannes, und jetzt stand hier dieser selbe Mann und verlangte von mir Dankbarkeit!
    »Hätte ich ihn verschont«, fuhr er fort, »wärst du nicht verschont geblieben. Ich hätte dich verloren, Will Henry, und, wie ich dem alten Mann sagte, deine Dienste sind mir unentbehrlich.«
    Was muss ich noch sagen über diese sonderbare und einsame Person, dieses Genie, das hingebungsvoll sein Leben lang im Verborgenen in der verborgensten aller Wissenschaften arbeitete, dem die Welt wenig Beachtung schenkte und an den sie sich nicht lange erinnern würde, aber dem sie so viel zu verdanken hatte, diesen Mann, der, wie es schien, nicht den kleinsten Funken Wärme oder Menschlichkeit besaß, dem Einfühlungsvermögen und Mitgefühl fehlten und die Fähigkeit, im Herzen der Menschen zu lesen – oder im Herzen eines zwölfjährigen Knaben, dessen Welt in einem einzigen, schrecklichen Augenblick zerstört worden war? In einem Moment wie diesem meinen Vater zur Sprache zu bringen! Was könnte ich mehr als Beweis meiner Hypothese anführen, dass dieses Mannes Hybris sich zu Höhen

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