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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Erklärungen eines autoritären Erwachsenen verletzt worden ist. Ich diskutierte nicht – allein weil ich nicht diskutieren konnte. Also nickte ich. Nickte! Während gleichzeitig mein Gesicht vor gerechtem Zorn brannte. Vielleicht war ich der Sklave von etwas, das er für töricht und abergläubisch hielt: der Vorstellung, dass alles Leben wert war, es zu verteidigen, und dass nichts es rechtfertigte, sich den Mächten der Zerstörung zu ergeben. Hätte ich in jener Nacht gewusst, was noch tief aus dem dunklen Bauch der Erde kommen sollte, hätte ich möglicherweise weniger das Bedürfnis verspürt, mit meinen kleinen Fäusten auf seine blasierte Miene einzutrommeln, sondern eher mich in seine Arme zu werfen, um dort den Trost zu suchen, den nur einer spenden kann, der auf dem finstren Pfad gewandelt ist.
    »Doch genug der Philosophie! Auf zu praktischeren und dringlicheren Angelegenheiten, Will Henry!«, rief er laut und schob meinen Körper so zwanglos zur Seite, wie er meine Seele beunruhigt hatte. Er ging auf die andere Seite des langen Tischs und sah sich die Karte genau an; um New Jerusalem hatte er bereits einen roten Kreis gezogen. »Offensichtlich wird meine ursprüngliche Hypothese durch die Ereignisse dieser Nacht widerlegt. Wir haben es mit einem voll ausgebildeten Rudel von Anthropophagen zu tun, dessen Alphamännchen jetzt in unserem Keller hängt. Zwanzig bis fünfundzwanzig fortpflanzungsfähige Weibchen und eine Handvoll Jungtiere. Dreißig vielleicht insgesamt, wenngleich die Umstände es erschwert haben, ihre exakte Zahl festzustellen.«
    Er sah von der Karte auf. »Ist es dir gelungen, zu einem Ergebnis zu kommen, Will Henry?«, fragte er allen Ernstes, als wäre es mir möglich gewesen, sie zu zählen, während ich gleichzeitig um mein Leben lief.
    »Nein, Sir«, sagte ich.
    »Aber scheint dir das zuzutreffen?«, fragte er. »Fünfundzwanzig bis dreißig? Basierend auf deiner Beobachtung.«
    Einhundertdreißig schien mir eher zuzutreffen, basierend auf meiner Beobachtung, doch war diese Fähigkeit durch panische Angst getrübt gewesen. Der Friedhof schien von ihnen überzuquellen; aus jedem Schatten und hinter jedem Baum heraus hatten sie sich ergossen.
    »Ja, Sir«, antwortete ich. »Ich würde sagen fünfundzwanzig. Fünfundzwanzig bis dreißig.«
    »Unsinn!«, rief er und schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. Die darauf folgende Zurechtweisung ließ mich zusammenfahren. »Sag mir nie das, wovon du glaubst, dass ich es hören will, Will Henry! Niemals! Ich kann mich nicht auf dich verlassen, wenn du beschließt, mir alles nachzuplappern. Das ist ein verabscheuungswürdiges Laster, das nicht ausschließlich auf Kinder beschränkt ist. Sage immer die Wahrheit, die ganze Wahrheit in allen Angelegenheiten zu jeder Zeit! Kein Mensch hat sich jemals zu Größe erhoben auf den Schwingen kriecherischer Falschheit. Jetzt sei ehrlich: Du hast in Wirklichkeit keine Ahnung, ob es dreißig oder fünfzig oder zweihundertfünfzig waren.«
    Ich senkte den Kopf. »Ja, Sir«, sagte ich. »Ich konnte es nicht erkennen.«
    »Ich auch nicht«, gab er zu. »Ich kann nur eine auf der Literatur beruhende Vermutung abgeben.« Er nahm den Herodot vom Stapel und blätterte schnell durch die alten Seiten, bis er zu einer bestimmten Passage kam, die er sich im griechischen Original leise durchlas. Nach ein oder zwei Momenten schlug er das Buch zu, legte es auf den Stapel zurück und widmete sich wieder der Karte. Er zog ein Lineal aus der Tasche, maß die kürzeste Entfernung zwischen New Jerusalem und der Küste und nahm anschließend Berechnungen in einem kleinen Notizbuch vor, wobei er die ganze Zeit über vor sich hin murmelte, während ich, der ich noch vor so Kurzem das Objekt seiner ungeteilten Aufmerksamkeit gewesen war, völlig unbeachtet dastand. Seine Konzentration war in ihrer Wucht vollständiger und erschöpfender als bei jedem anderen Menschen, den ich in meinem langen Leben kennengelernt habe. Ich kam mir, nachdem das blendende Licht seines Interesses sich von mir fortbewegt hatte, vor wie eine Person, die in einen Brunnen fällt und von strahlendem Sonnenschein in schwärzeste Finsternis eintaucht.
    Er nahm mehrere Messungen vor, von den Grenzen unseres Landkreises hin zu verschiedenen Seehäfen längs der Küste, indem er entlang seines Lineals schwache Verbindungslinien zwischen den einzelnen Punkten zog und die Entfernungen alle sorgfältig in seinem Notizbuch vermerkte. Unsere Stadt lag

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