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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Brust rasselte etwas.
    »Entschuldigen Sie!«, sagte er. Er förderte ein fleckiges weißes Taschentuch ans Licht und spuckte eine üppige Menge Schleim in den schmutzigen Stoff. Anschließend führte er es bis auf einen Zoll an die triefenden Augen heran und untersuchte den Inhalt gründlich. Er warf einen flüchtigen Blick in des Doktors Richtung und lächelte kläglich. »Verzeihen Sie bitte, Dr. Warthrop. Ich fürchte, ich liege im Sterben.«
    »Wie lautet die Diagnose?«, erkundigte sich Warthrop höflich. Er war ein Muster an Geduld, aber sein Fuß trommelte unentwegt auf dem abgenutzten Teppichboden.
    »Es gibt keine«, sagte Starr. »Ich sagte nicht, ich liege. Ich sagte, ich fürchte, ich liege.«
    »Eine Furcht, für die alle von Zeit zu Zeit empfänglich sind.«
    »In meinem Fall ist sie beinah ständig da. Aber mein Widerwille, eine Diagnose zu stellen, nimmt direkt proportional mit der Furcht zu.«
    »Interessant«, meinte der Doktor ohne viel Überzeugung.
    »Und anders als Ihr Vater und, allem Anschein nach, Sie mit Ihrem Jungen, habe ich niemanden, der die Fackel weiterträgt, wenn ich nicht mehr bin.«
    »Will Henry ist nicht mein ›Junge‹«, sagte Warthrop.
    »Nein?«
    »Er ist mein Assistent.«
    »Ihr Assistent! Er ist ziemlich jung für so eine wichtige Stellung, oder nicht?« Die schwachen Augen fielen auf mich, und ich sah sofort weg, denn die Worte des Doktors klangen mir inden Ohren: Du wirst niemandem direkt in die Augen sehen. Sollte dich jemand ansprechen, wirst du nichts sagen.
    »Er wurde mir durch den bedauerlichen Verlust seiner Eltern aufgenötigt.«
    »Ah, ein Fall von Wohltätigkeit!«
    »Weit davon entfernt. Er mag zwar jung sein, aber der Junge hat Potenzial.«
    »Ich bedaure deinen Verlust«, richtete sich Dr. Starr an mich, doch ich weigerte mich, den Kopf zu heben oder mich auch nur durch ein Nicken für die Beileidsbezeigung zu bedanken. Ignoriere sie , hatte der Doktor mir eingeschärft. Er hatte keine Ausnahme für den Eigentümer des Motley Hill Sanatoriums gemacht.
    »Nun, Warthrop«, fuhr Starr fort, »Sie möchten also mit Captain Varner sprechen.«
    »Ich würde mir nicht zu fragen anmaßen, wenn es sich nicht um eine Angelegenheit von zwingender Notwendigkeit handeln würde.«
    »Oh, ich bezweifle nicht, dass nur ein Notfall Sie zu dieser späten Stunde hierher locken konnte, unaufgefordert und unangekündigt! Der Patient hat über diese vielen Jahre hinweg seine bizarre Geschichte von Mord und Kannibalismus nicht geheim gehalten. Hätte er es, wäre er jetzt vielleicht ein freier Mann – oder ein toter, denn sicher wäre er nach dem Schuldspruch hingerichtet worden.«
    »Mein Vater hat nie über den Fall gesprochen«, sagte der Monstrumologe. »Ich bin in seinen persönlichen Unterlagen über einen Hinweis darauf gestolpert.«
    »Und die Neugier hat Sie an meine Tür geführt.«
    »Eine einzigartige Kuriosität«, erwiderte der Doktor vorsichtig.
    »Darum muss es sich in der Tat handeln, mein lieber Dr. Warthrop! Einzigartig kurios in der Tat!« Seine gebrechliche Gestalt wurde ein zweites Mal von einem Anfall geschüttelt, der gut eine Minute dauerte. Er wiederholte das Ritual desHerausnehmens des dreckigen Taschentuchs und der Deponierung des Auswurfs in dessen stinkenden Falten. »Aber eine bloße Kuriosität, selbst eine besondere oder eine einzigartige Kuriosität, könnte auch von dem nachlässigsten Linguisten nicht als Notwendigkeit oder, wie Sie sich Mrs. Bratton gegenüber ausgedrückt haben, ›eine Angelegenheit von außerordentlicher Wichtigkeit‹ konstruiert werden.«
    »Mein Vater glaubte offenbar an die Richtigkeit seiner Behauptung.«
    »Nun ja, in Anbetracht seines Berufes tat er das bestimmt.«
    »Und zwar in dem Ausmaß, dass er sich genötigt sah, hierherzukommen, so wie ich heute Abend. Ich weiß, dass der Patient alt und nicht bei guter Gesundheit ist …«
    »Und da sind Sie eben drei Stunden von New Jerusalem hierhergeritten, ohne vorher die angebrachten Erkundigungen einzuziehen, weil Sie sich dazu gezwungen sahen … wovon eigentlich genau?«
    »Wie ich schon sagte«, erwiderte der Doktor vorsichtig, »zwangen mich Varners Verfassung, das fortgeschrittene Alter des Patienten und andere zur Sache gehörige Umstände, zu –«
    »Ah, ja! Das ist es! ›Zur Sache gehörige Umstände‹. Das ist es, was meine Kuriosität weckt, Dr. Warthrop. Was, seien Sie doch so gut und verraten es mir, mögen diese ›zur Sache gehörigen

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