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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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würde.
    Geführt von der schwarz gekleideten, chlordurchdrungenen Mrs. Bratton, stiegen wir die schlecht beleuchtete, enge Treppe empor, die in den ersten Stock führte. Auf halber Höhe raunte der Doktor mir ins Ohr: »Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe, Will Henry!« Während wir die Stufen erklommen, wurden die schaurigen Schreie und Ächzlaute, die einem Zwischenreich zu entstammen schienen, das weder gänzlich fantastisch noch völlig menschlich war, ständig lauter. Eine heisere Stimme erhob sich über den Krach und rasselte einen zornigen, mit Lästerungen gepfefferten Monolog herunter. Eine Frau rief verzweifelt, wieder und wieder, nach jemand namens Hanna. Ein Mann schluchzte unkontrolliert. Und wie eine schnelle Strömung schoss unter der Oberfläche dieser aufgewühlten See entkörperlichten Lärms das besessene Gelächter dahin, das ich seit dem Betreten des Sanatoriums gehört hatte. Ebenfalls stärker wurde während unseres Aufstiegs derselbe widerliche Geruch, der mir schon unten in der Empfangshalle aufgefallen war und dessen übel riechende Zusammensetzung unverkennbar war, als er sich intensivierte: eine Duftmischung aus ungewaschenem Fleisch, altem Urin und menschlichem Kot, die einem die Kehle zuschnürte.
    Der lange Flur im ersten Stock war zu beiden Seiten von schweren Holztüren gesäumt, alle ausgestattet mit eisernenSicherungsbolzen und Vorhängeschlössern so groß wie meine Faust, alle mit einem sechs Zoll breiten Schlitz in Augenhöhe, der von einem aufklappbaren Stück Metall bedeckt war. Die alten Dielen knarrten unter unseren Füßen und setzten die Bewohner dieser verrammelten Zimmer von unserer Anwesenheit in Kenntnis, und ihre Schreie wurden fiebrig vor Erregung und dreimal so laut und heftig. Eine Tür erbebte in ihren antiken Angeln, als der Insasse dahinter sich dagegenwarf. Wir kamen am Zimmer des gotteslästerlichen Monologsprechers vorbei, worauf er die Lippen gegen die Tür presste und eine Reihe von Verwünschungen losließ, die des ungehobeltsten Seebären würdig gewesen wären. Die schrillen, verzweifelten Schreie nach Hanna vibrierten in unseren Ohren. Ich blickte hoch ins Gesicht des Doktors auf der Suche nach irgendeinem Zeichen der Beruhigung in diesem ekelhaften Stimmengewirr menschlichen Leids und Elends, aber da war kein Zeichen. Seine Miene war so gelassen wie die eines Mannes, der an einem warmen Sommertag im Park spazieren geht.
    Mir hingegen kam die nervenaufreibende Reise durch jenen trostlosen Flur länger als eine Meile vor und der Flur selbst noch eine Million Meilen mehr von jedem freundlichen Park entfernt. Als wir an der letzten Tür stehen blieben, war ich außer Atem, weil der Gestank mich gezwungen hatte, flache Züge durch den halb geöffneten Mund zu nehmen. Unsere Führerin nahm einen großen Ring aus ihrer Schürzentasche und begann, die Dutzende von Schlüsseln durchzugehen, die daran hingen, eine Operation, die offenbar komplexer war, als man es sich vorstellte, denn sie beugte sich tief über ihre Arbeit und fuhr mit einem gekrümmten Finger über den Bart jedes Schlüssels, als könne sie den richtigen durch die Berührung erkennen. Ich sprang fast aus den Kleidern, als die Tür direkt hinter mir heftig erzitterte und eine schnarrende Stimme flüsterte: »Hallo, wer ist denn da? Wer ist denn da?« Ich hörte die Laute von jemandem, der die Nase an die Tür drückte und schnüffelte. »Ich weiß, dass ihr da seid. Ich kann euch riechen .«
    »Der Patient war nicht wach, als ich das letzte Mal nach ihm gesehen habe«, teilte Mrs. Bratton dem Doktor mit, während sie ihre Schlüssel liebkoste.
    »Dann werden wir ihn aufwecken«, sagte der Doktor.
    »Sie werden nicht viel aus ihm herausbekommen«, meinte sie. »Er hat seit Wochen keinen Piepser mehr von sich gegeben.«
    Warthrop gab keine Antwort. Mrs. Bratton fand endlich den Schlüssel und ließ das alte Vorhängeschloss aufspringen, schob die drei Riegel über der Schließe zurück und drückte die schwere Tür mit der Schulter auf.
    Der Raum war winzig, kaum größer als meine kleine Dachkammer in der Harrington Lane, und unmöbliert bis auf das wacklige Bett, das zwei Schritt weit von der Tür weg stand. Daneben stand eine Kerosinlampe auf dem Boden, deren rauchige Flamme für das einzige Licht sorgte. Sie warf unsere Schatten an die Decke und auf den abblätternden Gips der Wand gegenüber dem dreckigen Fenster, unter dem sich, auf der staubigen Fensterbank, die Leichen

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