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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Seit fünfzig Jahren bieteich meinen Mitmenschen einen unschätzbaren Dienst an. Ich habe Opfer gebracht, mehr schlecht als recht gelebt von kärglichen Spenden und philanthropischen Zuwendungen. Ich hätte eine geregelte und gewiss lukrativere Stellung an einer Universität annehmen können, doch stattdessen habe ich mich dafür entschieden, mein Leben den armen Unglücklichen zu widmen, die vom Schicksal und den Umständen an meine Küste gespült wurden. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich beklage mich nicht, aber es ist hart. Hart!«
    Bemerkenswerterweise hatte das breite Grinsen sich verflüchtigt, und an seine Stelle waren eine zitternde Lippe und eine einzelne Träne getreten, die über seine verwitterte Wange kroch.
    »Und so beende ich nun meine Tage!«, rief er leise. »Ein mittelloser Tropf, der kaum genug in der Börse hat, um die Kosten für sein Begräbnis zu decken. Sie haben nach der Diagnose für mein Gebrechen gefragt, und ich sagte wahrheitsgemäß, dass es keine gibt, weil ich mir die Dienste eines Arztes nicht leisten kann. Ich, selbst ein Doktor, der sein Wohlergehen auf dem Altar des Altruismus geopfert hat, bin gezwungen, ein demütigendes Ende zu erleiden, weil ich mich geweigert habe, um das goldene Kalb zu tanzen! Ach, Warthrop, ’s ist ein Jammer – aber ich bettele um nichts! Dieser Stolz bricht mir das Genick – aber ich werde das Haupt nicht neigen! Ich bereue nichts. Und mag es meine Lunge auch anders empfinden, ich würde lieber ehrenhaft arm sterben als unehrenhaft zu leben.«
    Erneut schüttelte ein rauer Hustenanfall seinen dürren Körper durch, und er presste die skelettartigen Hände an die kollabierende Brust. Die Ärmel seines Gehrocks rutschten bis an die Ellbogen zurück und enthüllten seine knochigen Arme. Er schien vor unseren Augen zusammenzuschrumpfen, zu einer zitternden Masse verdorrten Fleisches und übergroßer gelblicher Zähne zu verfallen.
    Der Doktor rührte sich nicht. Er sprach nicht. Er sah zu,wie der alte Knabe das Ritual mit dem Taschentuch wiederholte, und sagte nichts, aber in seinen Augen brannte dasselbe beunruhigende Feuer, und seine Fäuste blieben an den Seiten geballt.
    Er wartete, bis Starr still war, dann trat er ruhig vor und legte eine Goldmünze neben seine Teetasse. Die verweinten alten Augen huschten zu der Münze, huschten wieder fort.
    »Ich bedarf Ihrer Mildtätigkeit nicht, Dr. Warthrop«, krächzte der Griesgram. »Sie machen alles noch viel schlimmer.«
    »Das liegt gewiss nicht in meiner Absicht, Dr. Starr«, erwiderte der Doktor. »Dies ist ein Darlehen. Sie müssen es mir zurückzahlen. Die einzige andere Bedingung ist, dass Sie es benutzen, um einen Arzt aufzusuchen.«
    Husch, husch, machten die Augen. »Meine einzige Hoffnung besteht darin, einen Spezialisten zu finden.«
    Eine zweite Münze gesellte sich zu der ersten.
    »In Boston.«
    Eine dritte. Als Starr es unterließ, zu sprechen, sondern das leise Klingen von Metall auf Metall mit einem lauten Seufzer beantwortete, fügte Warthrop eine vierte hinzu. Starr hustete, und das damit verbundene Rasseln in seiner Brust klang wie Bohnen, die in einem hohlen Kürbis durchgeschüttelt werden. Warthrop legte eine fünfte Münze auf den Haufen; Starr setzte sich kerzengerade auf, die Hände fielen herab, und mit lauter, klarer Stimme rief er: »Mrs. Bratton! Mrs. Braaaa tton !«
    Augenblicklich erschien selbige in der Tür, die reizbare Vettel, die uns an der Haustür empfangen hatte, als hätte sie direkt davor auf den Aufruf gewartet. Ihr Auftritt wurde von dem unverwechselbaren Geruch nach Bleiche begleitet.
    »Geleiten Sie Dr. Warthrop zu Captain Varners Zimmer«, wies Starr sie an. Er machte keine Anstalten, sich uns anzuschließen. Er blieb in seinem Sessel und trank schlückchenweise den Rest seines Tees, wobei er die Tasse mit einer Hand hielt, die merklich ruhiger als noch wenige Momente zuvorwar. Das Gold, das der Doktor neben die Untertasse gelegt hatte, hatte ihn gestählt.
    »Jawohl, Doktor«, antwortete die Alte. »Folgen Sie mir«, sagte sie zu Warthrop.
    Als wir uns anschickten, das Zimmer zu verlassen, rief Starr dem Doktor hinterher: »Vielleicht sollte der Knabe hier bei mir bleiben.«
    »Der Knabe ist mein Assistent«, rief mein Herr ihm barsch ins Gedächtnis. »Seine Dienste sind mir unentbehrlich.« Er folgte der Alten aus dem Zimmer und hieß mich weder zu kommen, noch blickte er zurück, um zu sehen, ob ich käme; er wusste, dass ich kommen

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