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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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nicht.«
    »Sir?«
    »Ich habe dich gefragt, ob du entschieden hast, dass du im Grunde gar nicht hungrig bist, und du hast ›Nein, Sir‹ geantwortet. So zumindest ist es mir im Gedächtnis.«
    »Nein, Sir. Ich meine, ja, Sir. Ich meine … ich habe mich gefragt … Das heißt, was ich eigentlich wollte, war, Sie zu fragen, ob Sie meinen Hut gefunden haben.«
    Er starrte mich verständnislos an, als spräche ich eine exotische Fremdsprache.
    »Hut?«
    »Ja, Sir. Meinen Hut. Ich glaube, ich habe ihn auf dem Friedhof verloren.«
    »Ich wusste gar nicht, dass du einen Hut besitzt.«
    »Doch, Sir. Ich habe ihn in der Nacht, als wir zum Friedhof gefahren sind, getragen, und er muss heruntergefallen sein, als sie … als wir ihn verließen, Sir. Ich habe mich gefragt, ob Sie ihn vielleicht gefunden haben, als Sie noch mal hingegangen sind, um … um aufzuräumen.«
    »Ich habe keine Hüte gesehen, außer dem einen, den ich dir gegeben habe, damit du ihn vernichtest. Wann um alles in der Welt hast du einen Hut erworben, Will Henry?«
    »Er gehörte mir schon, als ich kam, Sir.«
    »Als du kamst … wohin?«
    »Hierher, Sir. Um hier zu wohnen. Es war mein Hut, Sir. Mein Vater gab ihn mir.«
    »Ich verstehe. War es sein Hut?«
    »Nein, Sir. Es war mein Hut.«
    »Oh. Ich dachte, vielleicht hatte er irgendeinen Erinnerungswert für dich.«
    »Das hatte er, Sir. Ich meine, das hat er.«
    »Wieso? Was ist so Besonderes an einem Hut, Will Henry?«
    »Mein Vater gab ihn mir«, wiederholte ich.
    »Dein Vater. Will Henry, darf ich dir einen Rat geben?«
    »Ja, Sir. Natürlich, Sir.«
    »Investiere nicht zu viel von dir selbst in materielle Dinge.«
    »Nein, Sir.«
    »Selbstverständlich stammt dieses bisschen Weisheit nicht von mir. Dennoch ist es viel wertvoller als jeder Hut. Haben wir deine Nachfrage beantwortet, Will Henry?«
    »Ja, Sir. Ich nehme an, er ist ein für alle Mal verloren.«
    »Nichts ist jemals wirklich verloren, Will Henry. Es sei denn, wir sprechen über die Beweise, die mein Vater dieses ruchlose Geschäft betreffend zurückgelassen haben muss. Oder den Grund dafür, warum du hier nutzlos stehen bleibst, während ich nach ihnen suche.«
    »Sir?« Er hatte mich völlig durcheinandergebracht.
    »Entweder du gehst auf den Markt, oder du hilfst mir, Will Henry! Mach fix! Ich weiß nicht, wie es dir immer wieder gelingt, mich in diese philosophischen Diversionen hineinzuziehen.«
    »Ich wollte nur wissen, ob Sie meinen Hut gefunden haben«, sagte ich.
    »Nun, das ist nicht der Fall.«
    »Das ist alles, was ich wissen wollte.«
    »Falls du dir meine Erlaubnis erhoffst, dir einen neuen zu kaufen, dann geh zu einem Herrenausstatter, Will Henry, unter der Prämisse, dass du dies noch irgendwann heute machst.«
    »Ich will keinen neuen Hut, Sir. Ich will meinen alten Hut.«
    Er seufzte. Ich machte mich davon, bevor er eine Erwiderung zurechtzimmern konnte. Es war mir wie eine ganz einfache Sache vorgekommen: Entweder hatte er meinen Hut auf dem Friedhof gefunden oder nicht. Ein einfaches Nein, ich habe deinen kleinen Hut nicht gefunden, Will Henry hätte genügt. Ich fühlte mich ganz und gar nicht verantwortlich für die weitschweifige Natur unseres Gesprächs. Es gab Momente, in denen der Doktor, ungeachtet dessen, dass er in Amerika geboren und in England unterrichtet worden war, von den Regeln normaler Unterhaltung aus der Fassung gebracht zu werden schien.
    Ich erreichte die Stadt hutlos, aber glücklich. Für ein paar kostbare Minuten zumindest war ich frei von allen Dingen monstrumologischer Art. Die letzten beiden Tage waren besonders nervenaufreibend gewesen. War es wirklich erst drei Tage her, dass der alte Grabräuber mit seiner grässlichen Last an unserer Tür aufgetaucht war? Es kam mir wie eine Ewigkeit her vor. Während ich durch die Kopfsteinpflasterstraßen von New Jerusalems belebtem Zentrum eilte und die frische, saubere Luft des frühen Frühlings tief einatmete, kam mir einen flüchtigen Moment lang der Gedanke, der mir mehr als einmal gekommen war, seit ich bei ihm lebte (der wohl jedem in meiner Lage gekommen wäre), der Gedanke an Flucht.
    Der Doktor hatte keine Gitter vor den Fenstern angebracht; er schloss mich des Nachts nicht wie einen Käfigvogel in meiner kleinen Dachkammer ein oder kettete mich des Tags an einen Pfosten. Tatsächlich nahm er, wenn er meine »unentbehrlichen« Dienste nicht benötigte, kaum Notiz von mir. Falls ich flöhe, während er der Unpässlichkeit einer seiner

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