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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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etwas sein«, murmelte er vor sich hin. »Ein Brief, ein Frachtbrief, ein Dienstvertrag, irgendetwas …«
    Ich fuhr zusammen, als er die Schublade zuknallte. Er blickte mit verblüffter Miene auf, als sei ich, der einzige Gefährte in seinem Leben, der letzte Mensch, den zu sehen er erwartete.
    »Was gibt’s?«, wollte er wissen. »Was stehst du da so herum, Will Henry?«
    »Ich wollte fragen –«
    »Ja, ja. Dann frag schon. Frag.«
    »Jawohl, Sir. Ich wollte fragen, Sir, ob Sie vielleicht möchten, dass ich auf den Markt laufe?«
    »Auf den Markt? Wozu um alles in der Welt, Will Henry?«
    »Um etwas zu essen zu kaufen, Sir. Wir haben nichts mehr im Haus, und Sie haben nichts mehr gegessen, seit –«
    »Bei der Liebe Gottes, Junge, ist das alles, worüber du jemals nachdenkst?«
    »Nein, Sir.«
    »Worüber denn noch dann?«
    »Worüber noch, Sir?«
    »Ja, worüber noch. Außer über Lebensmittel, worüber denkst du da noch nach?«
    »Na ja, ich … ich denke über viele Dinge nach, Sir.«
    »Ja, aber was für Dinge? Das war meine Frage.«
    Er blickte mich finster an und trommelte mit dünnen Fingern auf der polierten Schreibtischplatte.
    »Du weißt, was Völlerei ist, Will Henry.«
    »Ja, Sir. Und Hunger auch, Sir.«
    Er unterdrückte ein Lächeln. Wenigstens redete ich mir das ein; es ist auch sehr gut möglich, dass er gegen den Drang ankämpfte, mir den nächstbesten schweren Gegenstand an den Kopf zu werfen.
    »Nun?«, fragte er.
    »Sir?«
    »Was beschäftigt deine Gedanken sonst noch?«
    »Ich versuche zu … begreifen, Sir.«
    »Was begreifen?«
    »Was Sie von mir … der Zweck der … der Dinge, die Sie mir beizubringen versuchen, Sir … aber meistens, um ehrlich zu sein, Sir, denn Lügen ist die schlimmste Art des Possenreißens, versuche ich, nicht über mehr Dinge nachzudenken, als über die Dinge, über die ich es versuche, wenn das Sinn ergibt, Sir.«
    »Nicht viel, Will Henry«, sagte der Doktor. »Nicht viel.«
    Mit einer abwinkenden Geste fügte er hinzu: »Du weißt, wo wir das Geld aufbewahren. Geh auf den Markt, wenn du magst, aber geradeswegs hin und geradeswegs zurück, Will Henry. Sprich mit niemandem, und sollte jemand dich ansprechen, so ist alles in Ordnung; ich bin mit meiner neuesten Abhandlung beschäftigt oder was immer dich am natürlichsten dünkt, solange es nicht die Wahrheit ist. Denk dran, Will Henry, manche Unwahrheiten entspringen der Notwendigkeit, nicht der Torheit.«
    Mit einem viel leichteren Herzen überließ ich ihn seinem Herumwühlen. Ich war dankbar für diese kurze Atempause – es war kein Leichtes, in der Lehre zu sein bei einem Monstrumologen von dem Naturell des Doktors – und doppelt froh für eben die Alltäglichkeiten, die von den meisten Laien als selbstverständlich hingenommen und in ihrer Kurzsichtigkeit sogar beklagt werden. Die einfache Hausarbeit und die Besorgungen, die meine Tage ausfüllten, waren willkommene Gnadenfristen vor dem Beginn der dunklen Tätigkeit der Nächte, die ausgefüllt waren mit unerwarteten Besuchern und geheimnisvollen Frachtstücken, mitternächtlichen Aufenthalten im Laboratorium und langen Reisen zu weit entfernten, vergessenen Regionen der Welt, wo die Eingeborenen sich noch nicht bis zu dem Punkt hatten zivilisieren lassen, wo sie zu fürchten vergaßen, was im Dunkeln lauern mochte. Die alltägliche Mühsal des Lebens war keine solche für mich. Nach dem Katalogisieren der inneren Organe einer Kreatur aus einem Albtraum war der Abwasch des Tischbestecks eine freudvolle Betätigung.
    So hüpfte ich geradezu die Treppe hoch, um mir Gesicht und Hände zu waschen. Ich wechselte das Hemd. (Es roch schwach nach Captain Varners Zimmer, eine eigenartige und ausgeprägte Verschmelzung von Bleiche und Fäulnis.) Aber ein kleiner Gegenstand fehlte, und bevor ich das Haus verließ, suchte ich den Doktor. Ich fand ihn in der Bibliothek, wo er wahllos Bücher aus den Regalen zog und durchblätterte, ehe er sie auf das wilde Durcheinander auf dem Boden warf.
    »Du bist also zurück? Gut; ich brauche deine Hilfe«, sagte er. »Fang am anderen Ende des Regals da drüben an.«
    »Eigentlich, Sir, bin ich noch gar nicht gegangen.«
    »Da bin ich anderer Meinung, Will Henry. Du warst eine Zeit lang weg.«
    »Nur um mich zu waschen, Sir.«
    »Dann hast du also entschieden, dass du im Grunde gar nicht hungrig bist?«
    »Nein, Sir.«
    »Du bist nicht hungrig?«
    »Ich bin hungrig, Sir.«
    »Dennoch hast du gerade gesagt, du seist es

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