Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist
werden für die Ausübung dieses Rechts.«
»Nein, nein«, murmelte Morgan. »Sie verstehen nicht, worum es geht, Warthrop.«
Er ließ sich neben Malachi auf der Kirchenbank nieder und schlang die Arme um dessen schmale Schultern.
»Vielleicht gab es einen Grund dafür, dass du verschont wurdest, Malachi«, sagte der Wachtmeister. »Hast du daran schon gedacht? Alle Dinge geschehen aus einem Grund … Ist das nicht das Fundament unseres Glaubens? Du bist hier – wir alle sind hier –, weil wir bloß Teil eines Plans sind, der schon vor der Erschaffung der Erde entworfen wurde. Es ist unsere demütige Pflicht, unsere Rolle in diesem Plan anzunehmen. Ich gebe nicht vor zu wissen, was meine oder die von sonst jemandem sein könnte, aber es ist doch möglich, dass du verschont wurdest, damit nicht noch mehr Unschuldige ihr Leben lassen. Denn wenn du in diesem Haus geblieben wärst, wärst du sicher zusammen mit deiner Familie umgekommen, und wer hätte uns dann gewarnt? Die Rettung deines eigenen Lebens wird zahllosen anderen das Leben retten.«
»Aber wieso ich? Wieso wurde ich verschont? Wieso nicht Vater? Oder Mutter? Oder meine Geschwister? Wieso ich ?«
»Das ist etwas, was niemand beantworten kann«, erwiderte Morgan.
Mit einem Schnauben ließ der Doktor jeden Anschein von Mitgefühl fahren und sprach grob zu dem gequälten Jungen. »Dein Selbstmitleid verspottet deinen Glauben, Malachi Stinnet. Und jede Minute, die du dich darin ergehst, ist eine verlorene Minute. Die größten Köpfe im mittelalterlichen Europa stritten sich darüber, wie viele Engel auf einem Stecknadelkopf tanzen können, während die Pest zwanzig Millionen Menschen umbrachte. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, esoterischen Debatten über die Launen der Götter zu frönen! Sag mir, hast du deine Familie geliebt?«
»Natürlich habe ich sie geliebt!«
»Dann verbanne deine Schuldgefühle und begrabe deinen Kummer! Sie sind tot, und kein Ausmaß an Kummer oder Reue wird sie zu dir zurückbringen. Ich stelle dich vor eine Wahl, Malachi Stinnet, die Wahl, vor der eines Tages jeder steht: Du kannst an den Wassern zu Babel sitzen und weinen, oder du greifst zu den Waffen und trittst dem Feind entgegen! Deine Familie wurde nicht von Dämonen heimgesucht oder vom Zorn eines rachsüchtigen Gottes niedergestreckt. Deine Familie wurde von einer Raubtierspezies angegriffen und vernichtet, die wieder zuschlagen wird, so sicher wie die Sonne diesen Tag beenden wird, und noch mehr werden dasselbe Schicksal wie deine Familie erleiden, wenn du mir nicht sofort erzählst, was du gesehen hast.«
Während er diese Worte sprach, beugte der Doktor sichdichter und dann noch dichter an den zusammengekauert dasitzenden Malachi heran, stützte sich dabei mit den Händen zu beiden Seiten von ihm auf der Kirchenbank ab, als wolle er sie wegschieben, bis sein Gesicht nur noch wenige Zoll von dem des Jungen entfernt war, und in seinen Augen brannte das Feuer seiner leidenschaftlichen Beweisführung. Sie trugen eine gemeinsame Bürde, doch wusste nur Warthrop davon, und deshalb hatte nur Warthrop die Macht, sie ihm abzunehmen. Ich wusste es natürlich auch, und nun, da ich es sozusagen als alter Mann durch meine zwölfjährigen Augen betrachte, kann ich die bittere Ironie darin erkennen, die seltsame und schreckliche Symbolik: An seinen eigenen unbefleckten Händen spürte Malachi das Blut seiner Familie, während der Mann, an dessen Händen es buchstäblich klebte, ihn ausschalt und von ihm verlangte, sich von allen Gefühlen von Verantwortung und Reue loszusagen!
»Ich habe nicht alles gesehen«, kam die erstickte Antwort. »Ich bin weggelaufen.«
»Aber du warst im Haus, als es begann?«
»Ja. Natürlich. Wo hätte ich sonst sein sollen? Ich schlief, so wie wir alle. Da war ein furchtbares Krachen. Das Geräusch von zerberstendem Glas, als sie durch die Fenster hereinkamen. Sogar die Wände wackelten, so heftig war ihr Eindringen. Ich hörte, wie meine Mutter aufschrie. Ein Schatten erschien vor meiner Tür, und das Zimmer füllte sich mit einem scheußlichen Gestank, der mir die Kehle zuschnürte. Ich konnte nicht mehr atmen. Der Schatten füllte die Tür aus … riesig und kopflos … schnuppernd und schnaubend wie ein Schwein. Ich war wie gelähmt. Dann ging der Schatten an der Tür vorbei. Er ging; warum, weiß ich nicht.
Das Haus war von Schreien erfüllt. Unseren. Ihren. Elizabeth sprang ins Bett. Ich konnte mich nicht bewegen! Ich hätte die Tür
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