Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist
kommen, der sogar für einen zwölfjährigen Jungen auf der Hand lag? Die eine Möglichkeit war so wahrscheinlich wie die andere, und welche davon tatsächlich zutraf, war seinem stoischen Gesichtsausdruck nicht zu entnehmen. Er offenbarte nichts, als er schweigend die kopflose Mutter und den toten Säugling an ihrer Brust betrachtete, die zusammengerollt zu seinen Füßen lagen wie Opfergaben an eine blutdürstige Gottheit.
»Wo ist der Zeuge?«, fragte er.
Wir blieben im Hof stehen, um unsere Lungen von dem pestilenzialischen Gifthauch des Todes zu reinigen und damit der Wachtmeister seine Pfeife neu stopfen konnte. Sein Gesicht war gerötet, und die Finger, mit denen er das Streichholz hielt, zitterten, als er die Flamme an den alabasterweißen Kopf hielt.
»Ich muss Ihnen gestehen, Warthrop, das hier liegt völlig außerhalb des Bereichs meiner praktischen Erfahrung.«
Morgans Blicke schweiften zu den Worten, die über der Pfarrhaustür hingen. Der Herr ist mein Hirte. Er wirkte nicht getröstet. Genau genommen schien er bis aufs spirituelle Mark erschüttert. Als Wachtmeister der Stadt hatte er mehr als seinen gerechten Anteil an der Unmenschlichkeit des Menschen dem Menschen gegenüber erlebt, von kleinen Diebereien bis hin zu böswilligen tätlichen Angriffen. Nichts davon hatte ihn jedoch auf diese unverblümte Gegenüberstellung mit der schreienden Ungerechtigkeit vorbereitet, dieser entsetzlichen Mahnung, dass wir, ungeachtet aller Ehren, mit denen wir uns überhäufen, letztendlich nur Futter sind, Fleisch für die untergeordneten, seelenlosen Wesen, von denen ich in der Nacht zuvor geträumt hatte und die nicht weniger Kinder des Schöpfers waren als wir. Es kann nicht angenehm gewesen sein für einen Mann mit der beschränkten Erfahrung und dem empfindsamen Naturell des Wachtmeisters, von den Anthropophagen mit der grausamen Verhöhnung unseres menschlichen Strebens, unserer absurden Großartigkeit und hochgesteckten Ziele, unserer stolzen Selbstherrlichkeit konfrontiert zu werden.
»Er ist im Altarraum«, sagte er. »Hier entlang.«
Wir folgten ihm über den Kiesweg zu der kleinen Kirche, die zu dem Sträßchen hin lag, welches zur Old Hill Cemetery Road führte. Dort war eine weitere Wache postiert. Wortlos trat der Mann zur Seite, um uns passieren zu lassen. Das Innere war kühl und dunkel. Das Morgenlicht fiel in gebrochenen Strahlen durch das Farbglas der Fenster, blaue und grüne und rote Speere, die die staubige Luft durchschnitten. UnsereSchritte hallten auf den alten Brettern wider. Zwei schemenhafte Gestalten saßen krumm in der vorderen Bankreihe. Als wir näher kamen, stand eine auf, ein Gewehr in den Armen. Die andere rührte sich nicht, hob nicht einmal den Kopf.
Mit gesenkter Stimme informierte der Wachtmeister den Mann mit dem Gewehr, dass die Leichenwagen bald eintreffen würden und er draußen warten solle, um beim Wegschaffen der Opfer zu helfen. Der Mann schien nicht besonders erfreut über die Anweisung, bestätigte seine Instruktionen jedoch mit einem fast unmerklichen Nicken, bevor er sich verabschiedete.
Die Schritte der Wache erstarben. Wir waren allein mit unserem Zeugen. Er hockte in sich zusammengesackt auf der Bank, die Arme vor der Brust verschränkt, die Hände um die Ränder der Decke geklammert, die um seinen nackten Oberkörper geschlungen war, ein Junge von fünfzehn oder sechzehn Jahren, schätzte ich, mit dunklem Haar und großen, strahlend blauen Augen, die aufgrund der Schmalheit seines Gesichts umso größer wirkten. Obwohl er saß, bemerkte ich, dass er groß für sein Alter war; seine Beine schienen sich eine Meile weit vor ihm zu erstrecken.
»Malachi«, sagte der Wachtmeister behutsam. »Malachi, das hier ist Dr. Warthrop. Er ist hier, um …« Der Wachtmeister hielt inne, als sei er sich nicht sicher, welchen Dienst der Doktor leisten konnte. »Nun, um dir zu helfen.«
Es verging ein Moment. Malachi sagte nichts. Lautlos bewegten sich seine vollen Lippen, während er wie irgendein östlicher Mystiker auf einen Raum jenseits unserer sterblichen Sphäre starrte, äußerlich schaute, aber innerlich sah .
»Ich bin nicht verletzt«, sagte er schließlich in einem Ton, der gerade noch ein Flüstern war.
»Er ist nicht so ein Doktor«, erklärte der Wachtmeister.
»Ich bin Wissenschaftler«, sagte Warthrop.
Malachis bemerkenswert blaue Augen verirrten sich auf mein Gesicht und verharrten ein paar schmerzlich unbehagliche Sekunden lang starr
Weitere Kostenlose Bücher