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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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französischen Châteaus aus dem fünfzehnten Jahrhundert.
    Mit einer für einen Mann seines Alters überraschenden Behändigkeit sprang von Helrung aus der Kalesche und stürmte durch das Eingangstor, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nahm.
    Er hämmerte mit der fleischigen Faust mehrere Sekunden lang gegen die Tür und rief dabei: »Muriel! Bartholomew! Macht auf! Ich bin’s, von Helrung!«
    Er drehte sich zum Doktor um. »Rasch, Pellinore! Wir müssen sie aufbrechen!«
    Der Doktor entgegnete vernünftig: »Vielleicht sind sie oben und hören einfach das –«
    »Quatsch!«, stöhnte der alte Monstrumologe. Er stieß Warthrop grob zur Seite, trat zurück, um Anlauf zu nehmen, und warf sich dann gegen die Tür. Sie bog sich, hielt aber stand. »Gütiger Gott im Himmel!«, rief er und sammelte Kräfte für den nächsten Schlag. »Gib.« Krach! »Mir.« Krach . »Kraft!«
    Unter einem letzten, verzweifelten Anprall seiner Schulter gab die Tür nach, und ihre zersplitterten Überreste krachten mit der Gewalt eines Donnerschlags gegen die Wand im Innern. Von Helrungs Schwung trug ihn in den Eingang, aber er behielt dasGleichgewicht und stürzte mehrere Schritte in den kavernenartigen Raum, wo der Kristalllüster das Licht der untergehenden Sonne in tausend glitzernde Stücke zersplitterte.
    Ich roch es im selben Moment, als ich hineinging – den widerlich süßen Geruch des Todes, den unverwechselbaren Duft der Verwesung. Der Doktor reagierte augenblicklich darauf: Er schob sich an seinem atemlosen Gefährten vorbei und ging mit weit ausgreifenden Schritten auf die Haupttreppe zu. Von Helrung, der jetzt den Derringer in der Hand hielt, packte Warthrop mit der andern am Mantel und zog ihn zurück.
    »Wir bleiben zusammen«, flüsterte er rau. »Wo ist das Messer?«
    Warthrop schnalzte ungeduldig mit der Zunge, nahm aber das Messer heraus und reichte es mir. »Ich habe meinen Revolver«, sagte er.
    »Gut, aber du wirst die hier brauchen.« Von Helrung hielt ihm mehrere glänzende Silberkugeln hin. Sie klimperten leise in der unheimlichen Stille. Warthrop schob das Angebot von sich.
    »Ich denke, meine gewöhnlichen werden es tun, danke.«
    Wir folgten Warthrop zur Haupttreppe, vorbei an Porträts von Vorfahren des Geschlechts der Chanlers, hier und da der Marmorstatue einer griechischen Gottheit und der Büste irgendeiner namenlosen Persönlichkeit, die von ihrem hohen Platz auf ihrem Postament herabfunkelte.
    Auf der ersten Treppenkehre fanden wir die Leiche eines jungen Mädchens, der Kleidung nach eines Zimmermädchens, die mit dem Gesicht nach oben lag – jedoch auf dem Bauch. Jemand hatte ihr den Kopf komplett herumgedreht. Ihre Augen und ihr Gesicht waren verschwunden. Ihr Rock war um die Taille hochgeschoben, sodass ihr nackter Hintern entblößt war. Wo ihre Hinterbacken hätten sein sollen, war nichts als eine klaffende Wunde, und die Luft war durchdrungen vom Gestank nach Exkrementen.
    Von Helrung prallte entsetzt zurück, aber Warthrop nahm kaum Notiz von dem grausigen Fund. Er sprang über das bedauernswerte Geschöpf und stürmte weiter die Treppe hoch, wobei er aus vollem Halse und mit vor Panik weit aufgerissenen Augen Muriels Namen schrie. Von Helrung und ich waren vorsichtiger in unserem Aufstieg und zwängten uns behutsam um sie herum, ehe wir ihm nacheilten. Ich befahl mir, nicht nach unten zu schauen, aber ich machte es dennoch – und wäre vor Ekel fast in Ohnmacht gefallen, denn wessen ich gewahr wurde, übertraf alles, was ich jemals in meiner Zeit als Fußsoldat im Dienste von Warthrops anspruchsvoller Geliebten gesehen hatte.
    Jemand – oder etwas – hatte ihre Gesichtsmaske, einschließlich der strahlend braunen Augen, sorgfältig in ihren entleerten Därmen arrangiert, sodass sie aus den geschändeten Tiefen zu mir emporzustarren schien.
    »Bleib zurück, Will!«, raunte von Helrung mir zu.
    Fast wäre ich auf der zweiten Treppenkehre in den Doktor gerannt. Eine weitere Leiche lag in unserem Weg, auf dem Rücken, die Beine zusammen und die Arme weit ausgebreitet, dieselbe Stellung, in der wir Sergeant Hawk entdeckt hatten. Er war ausgeweidet worden. Seine Organe, die noch von Körperflüssigkeit glänzten, lagen unordentlich da, als wären sie durchwühlt worden auf der Suche nach einem speziellen Preis – welcher möglicherweise das Herz gewesen war (ich konnte seine halb aufgefressenen Überreste sehen) oder vielleicht die Gedärme, die vom Unterleib losgetrennt und wie eine Krone

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