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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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diese durchdringend schönen Augen, indem ich meine eigenen auf den persischen Teppich senkte und murmelte: »Es war ein Unfall, Ma’am.«
    »Nun, ich habe nicht gedacht, dass es absichtlich passiert ist!« Sie musste unwillkürlich lachen. »Es ist nicht einfach, stimmt’s? Einem Monstrumologen zu dienen.«
    »Nein, Ma’am. Das ist es nicht.«
    »Besonders wenn sein Name zufällig Pellinore Warthrop ist.«
    »Ja, Ma’am.«
    »Warum tust du es dann?«
    »Mein Vater diente ihm. Und als er starb, konnte ich sonst nirgends hin.«
    »Und jetzt, nehme ich an, bist du unentbehrlich für ihn.«
    Sie lächelte über meinen verblüfften Gesichtsausdruck.
    »Oh ja«, sagte sie. »Ich habe wenig Zweifel daran, dass er dir das gesagt hat. Er pflegte mir dasselbe zu sagen, aber das war vor sehr langer Zeit. Liebst du ihn, Will?«
    Die Frage machte mich sprachlos. Lieben – den Monstrumologen?
    »Ich sollte das nicht fragen«, fuhr sie fort. »Es geht mich nichts an. Ich weiß, dass er alles ist, was du hast. Für mich war er einmal dasselbe. Aber ein Haus kann nicht auf Sand gebaut werden, Will. Ergibt das einen Sinn für dich? Weißt du, was ich meine?«
    Ich schüttelte langsam den Kopf. Ich wusste es nicht.
    »Die Vorstellung, dass er zur Liebe nicht fähig ist, hat mich immer getröstet – dass ich das, was zwischen uns passierte, auf keinen Fall persönlich nehmen durfte. Aber ich glaube, jetzt verstehe ich es. Es ist nicht Liebe, die ihm fehlt – er liebt glühender als jeder andere Mann, den ich je gekannt habe –, es ist Mut.«
    »Dr. Warthrop ist der tapferste Mensch auf der Welt«, sagte ich. »Er ist Monstrumologe. Er fürchtet sich vor nichts.«
    »Ich verstehe«, antwortete sie freundlich. »Du bist nur ein Junge, und du siehst ihn mit anderen Augen.«
    Darauf hatte ich nichts zu sagen. Aus irgendeinem Grund hörte ich seine Stimme, die auf einer schneebedeckten Lichtung widerhallte: Du widerst mich an. Ich senkte den Kopf und spürte die Erinnerung an seine Arme, die mich dicht an ihn zogen, und seinen warmen Atem auf meinem Hals.
    Sie fühlte meine Pein, und ihr Herz wurde von Mitleid bewegt. »Er hat dich ziemlich gern, weißt du«, sagte sie.
    Ich kundschaftete ihre Miene aus. Hänselte sie mich?
    »Oh ja«, fuhr sie lächelnd fort. »Sorgt sich um dich wie eine Glucke. Das ist so süß – und sieht ihm so gar nicht ähnlich. Erst letzte Nacht hat er gesagt –«
    Sie unterbrach sich. Sie sah weg. Ich sah, dass sie errötete.
    Als die beiden Monstrumologen ihre Debatte eingestellt hatten, war sie im Begriff zu gehen. Obwohl von Helrung sie inständig bat, konnte nichts, was er vorbrachte, ihre Meinung ändern.
    »Ich werde mich hier nicht wie ein verängstigtes Huhn verkriechen«, sagte sie. »Falls sie ihn nicht zuerst erwischen, wird er den Weg nach Hause finden, und wenn das passiert, will ich da sein.«
    »Ich werde mit dir kommen«, sagte der Doktor.
    Sie mied seinen Blick. »Nein«, sagte sie einfach. Aber Warthrop gab so schnell nicht nach; er folgte ihr zur Tür und bestand eindringlich auf seinem Begehr, während er ihr mit ihrem Umhang half.
    »Du solltest nicht allein gehen«, sagte er.
    »Sie nicht albern, Pellinore. Ich habe keine Angst vor ihm. Er ist mein Mann.«
    »Er ist nicht bei vollem Verstand.«
    »Ein Defekt, der unter euch Monstrumologen nicht ungewöhnlich ist«, zog sie ihn auf. Sie sprach zu seinem Spiegelbild. Sie rückte ihren Hut im Dielenspiegel zurecht.
    »Können wir einen Moment lang ernst sein?«
    »Nenne mir einen Moment, wo du das nicht gewesen wärst.«
    »Du wirst hier sicher sein.«
    »Mein Platz ist zu Hause, Pellinore. In unserem Zuhause.«
    Dies bestürzte ihn; er versuchte nicht, es zu verbergen. Er sagte. »Dann komme ich mit dir.«
    »Wozu?«, wollte sie wissen. Sie drehte sich vom Spiegel weg, und ihre Wangen waren gerötet. »Um mich vor meinem eigenen Mann zu beschützen? Wenn er so krank ist, wie du sagst, wieso solltest du das dann für notwendig erachten?«
    Er hatte keine Antwort parat. Sie lächelte und berührte sein Handgelenk leicht mit ihrer behandschuhten Hand.
    »Ich habe keine Angst«, wiederholte sie. »Außerdem wäre es nicht schicklich, eine verheiratete Dame in meiner Position, die einen Gentleman in Abwesenheit ihres Ehemanns empfängt. Was würden die Leute denken?«
    »Es ist mir egal, was sie denken. Was mir nicht egal ist, ist …«
    Er wollte – oder konnte – den Gedanken nicht zu Ende führen. Er hob die Hand, als wollte er ihre

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