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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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denken, was passierte. Er steckte Siegelwachs in die Ohrstücke meines Stethoskops; er mischte getrocknete Fäkalien in mein Zahnpulver; und, bei einem denkwürdig unglücklichen Zwischenfall, unmittelbar bevor ich meine Abschlussprüfung vor dem gesamten Verwaltungsrat der Gesellschaft ablegen sollte, versetzte er meinen Tee mit einem Extrakt aus Trockenbohnen mit hohem Oligosaccharidanteil, einem Zucker, den die meisten Menschen – einschließlich meiner selbst – nicht verdauen können und der exzessive Blähungen und, zumindest in meinem Fall, knallgasähnliche Reaktionen hervorruft. Ich furzte mich buchstäblich durch den gesamten Vortrag, und die Tränen, die mir aus den Augen strömten, hatten wenig mit der Tiefgründigkeit meiner Abhandlung zu tun. Der Saal schien größer als das Metropolitan Opera House zu sein, als ich ihn betrat. Als ich ihn verließ, kam er mir so beengt wie ein Wasserklosett vor, und er stank auch so … Was sind das für Laute, Will Henry? Lachst du etwa?«
    »Nein, Sir«, gelang es mir zu keuchen.
    »Ich hasste John Chanler«, sagte er. »Er war mein bester Freund, und wie ich ihn hasste!«
    Am nächsten Morgen erreichten wir Rat Portage unter einem wolkenlosen, saphirblauen Himmel, mit einem beißenden Nordwind im Rücken, der die Oberfläche des Lake of the Woods durcheinanderbrachte wie die unsichtbare Hand eines Riesenbabys, das in seinem Badewasser planscht. Fischerboote tanzten auf dem unregelmäßigen Wellenschlag, Seetaucher tauchten und spritzten in ihrem Kielwasser, und ich erspähte ein Dampfboot, das am gegenüberliegenden Südufer dahintuckerte und über dessen Rauchschwaden speienden Schornsteinen in großer Höhe ein weißköpfiger Seeadler schwebte.
    Ein drahtiger Junge einheimischer Herkunft, der eine Wildlederjacke und einen Biberhut trug, tauchte aus der wogenden Menge auf und bot in gebrochenem Englisch an, für fünfundzwanzig Cent unsere Taschen zum Hotel zu tragen. Sein Angebot leitete eine längere Verhandlung ein. Wie bei vielen Menschen von beträchtlichem Vermögen war Warthrops Geldbörse verschlossener als eine Auster. Ich hatte schon erlebt, wie er eine Stunde lang geschachert hatte, um einen Penny an einem zwei Tage alten Laib Brot zu sparen. Nahm man dazu noch sein angeborenes Misstrauen gegenüber der Ehrlichkeit seiner Mitmenschen – er konnte nie den Verdacht loswerden, dass man ihn betrog –, dann konnte sich eine einfache Transaktion, die nicht länger als eine Minute hätte dauern sollen, auf das Siebzigfache dessen dehnen. Am Ende ihres ausgedehnten Schacherns – Angebot und Gegenangebot und Gegengegenangebot – schienen sowohl der Doktor als auch unser Gepäckträger unzufrieden mit dem Ergebnis; jeder fühlte sich ein bisschen übers Ohr gehauen vom andern.
    Die Laune meines Herrn verbesserte sich bei unserer Ankunft im Russell House nicht. Unser Zimmer war klein; es enthielt einen Waschtisch, eine Frisierkommode, die aussah, als habe sie ein Blinder zusammengeschustert, und ein einziges, gleichermaßen wackliges Bett. Warthrop war gezwungen, für zusätzliche zehn Cent ein Feldbett vom Eigentümer zu mieten, eine Gebühr, die er mit Straßenraub verglich.
    Wir zauderten nur so lang wie nötig war, um unsere Taschen abzustellen und in einem rauchverhangenen Restaurant auf der andern Straßenseite etwas zu essen zu finden, wo Männer Ladungen öligen Tabaksafts in zerbeulte Messingspucknäpfe spien und unsere östliche Kleidung mit unverhohlenem Argwohn betrachteten. Anschließend machten wir uns daran, Muriels Briefpartner zu suchen, eine Aufgabe, die sich als frustrierender erwies, als der Doktor erwartet hatte.
    Vom Hoteldiener, der uns angemeldet hatte, bekamen wir folgende Antwort: »Larose? Ja, den kenn ich. Er ist ein beliebter Führer; wenige kennen die abgelegenen Wälder besser als Larose. Hab ihn seit über einem Monat nicht mehr gesehen, würd ich sagen. Keine Ahnung, wo er hin ist, aber lassen Sie mich wissen, wenn Sie ihn finden, Dr. Warthrop. Er schuldet mir noch Geld.«
    Vom Postamtsvorsteher von Rat Portage: »Ja, ich kenne Larose. Netter Bursche, wenn er nicht sternhagelvoll ist. Kann mich nicht erinnern, wann ich ihn zum letzten Mal gesehen habe …«
    »Er hat irgendwann im späten Juli einen Brief von hier aus aufgegeben«, sagte der Monstrumologe.
    »Ja, das könnte ungefähr hinkommen. Daran erinnere ich mich. Ist besoffen umgekippt. Er sei gerade aus den Wäldern zurückgekommen, hat er gesagt. Schien nicht auf der

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