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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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älter wurde; seine Augen huschten über den Pfad hin und her, sahen Bedrohung in jedem Schatten, böse Omen in selbst der unbedeutendsten Verzögerung.
    »Ist Ihnen aufgefallen, Doktor«, sagte er, als wir einen kurzen Halt zum Abendessen einlegten, »dass wir kein einziges Tier gesehen haben, seit wir Rat Portage verlassen haben? Keinen Elch, keinen Hirsch, keinen Fuchs – nichts. Nichts außer Vögel und Insekten, aber die zähle ich nicht. Ich bin noch nie hier oben in diesen Wäldern gewesen, ohne irgendetwas zu sehen. Sogar keine Eichhörnchen – das ist die betriebsamste Zeit des Jahres für die Eichhörnchen – aber nicht einmal ein Eichhörnchen!«
    Warthrop brummte. »Wir sind ja auch nicht gerade still wie die Kirchenmäuse gewesen, Sergeant. Dennoch gebe ich zu, dass es ungewöhnlich ist. Es heißt, die Tiere der Insel seien Hals über Kopf ins Meer gestürmt, kurz bevor der Krakatau ausbrach.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Der Monstrumologe lächelte. »Vielleicht dräut großes Unheil am Horizont und wir sind die einzigen Tiere, die so dumm sind zu bleiben.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass ein Elch gescheiter ist als wir?«
    »Ich sage nur, dass ein größeres Gehirn auch seinen Preis hat. Unsere besseren Instinkte werden oft von unserem Verstand zum Schweigen gebracht.«
    »Na ja, darüber weiß ich nichts. Aber merkwürdig ist die Sache schon. Nun, ein einzelner Wolf vertreibt im Wald das Wild im großen Umkreis – aber was gibt es dort, was einen Wolf vertreibt?«
    Falls der Doktor eine Antwort darauf hatte, so behielt er sie für sich.
    Als die Sonne im Wasser des Sees versank und die Oberfläche mit feurigen Strahlen erlöschenden Lichts bemalte, erschien eine Gruppe von Ältesten am Ufer, um uns zu empfangen. Unsere Ankunft, so schien es, kam nicht unerwartet. Wir wurden mit großer Feierlichkeit begrüßt und man bot uns frischen Fisch und gepökeltes Wildbret an, was wir dankbar annahmen; dicht bei einem prasselnden Feuer speisten wir zu Abend, einen Steinwurf vom Seeufer entfernt, beschenkt mit warmen Decken, die wir uns über den Schoß geworfen hatten, denn mit dem Verschwinden der Sonne sank die Temperatur dramatisch. Das ganze Dorf kam zum Essen – obwohl wir die Einzigen waren, die aßen. Die Dorfbewohner starrten uns mit gespannter, wenn auch stummer Neugierde an. Weiße Menschen waren ein äußerst ungewöhnlicher Anblick so tief im Hinterland, erklärte Hawk; selbst die Missionare machten hier selten Besuche, und die wenigen, die es machten, reisten niedergeschlagen wieder ab. Es schien, als bereitete dem Suckervolk das Schicksal ihrer unsterblichen Seelen keine Sorgen.
    Sie kannten Sergeant Hawk und unterhielten sich mit ihm in ihrer Sprache. Ich konnte natürlich fast nichts davon verstehen, außer den Worten »Warthrop«, »Chanler« und » Outiko« . Die Erwachsenen hielten respektvoll Abstand, aber die Kinder gaben ihrer Faszination nach und schoben sich immer näher heran, bis sie sich um uns gedrängt hatten. Eins nach dem andern streckte die Hand aus und berührte uns mit zaudernden Fingern, streichelte meine weiße Haut und befühlte die raue Wolle meiner Jacke. Eine ältere Frau wies sie scharf zurecht, und sie machten sich davon.
    Eine andere, viel jüngere Frau – eine der Ehefrauen des Schamanen, erfuhr ich später – geleitete uns zum Wigwam unseres Gastgebers, eine kuppelförmige Konstruktion, die sich aus geflochtenen Matten und Birkenrinde zusammensetzte. Der Schamane war allein und saß auf einer Matte in der Nähe des kleinen Feuers in der Mitte des Wigwams; er trug einen breitkrempigen Hut und war in eine Zeremoniendecke gehüllt.
    » Tansi , Jonathan Hawk«, begrüßte er den Sergeant. » Tansi, tansi «, sagte er zu Warthrop und bedeutete uns mit einem Zeichen, uns neben ihn zu setzen. Unser plötzliches Auftauchen in seinem Dorf schien ihn nicht im Mindesten aus der Fassung zu bringen. Er betrachtete den Doktor und mich mit milder Neugierde und wenig sonst. Anders als viele seiner vertriebenen, gejagten und ermordeten Brüder war der Stamm der Sucker, bis auf den gelegentlichen Besuch eines wohlmeinenden, aber törichten Missionars, von den europäischen Eroberern in Ruhe gelassen worden.
    »Ich habe von eurem Kommen gehört«, sagte er zu Hawk, der für uns übersetzte. »Aber ich hatte nicht erwartet, dich so bald zurückkehren zu sehen, Jonathan Hawk.«
    »Dr. Warthrop ist ein Freund Chanlers«, sagte Hawk. »Er ist auch Ogimaa, Okimahkan. Sehr starker,

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