Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

anschließend beenden. Wenn Sergeant Hawk recht hat und sich nicht irgendeinem Wunschdenken hingibt, dann könnten wir den Sandy Lake vor Sonnenuntergang erreichen.«
    »Wir werden ihn begraben?«
    »Wir können ihn ja schlecht mitnehmen, und es wäre nicht klug, ihn hier den Elementen schutzlos ausgeliefert zurückzulassen.« Er seufzte. Sein dampfender Atem wühlte die kalte Luft auf. »Ich hatte gehofft, das Morgenlicht würde weitere Hinweise darauf enthüllen, was ihm widerfahren ist, aber ohne die richtige Ausrüstung kann ich ansonsten nicht viel tun.«
    »Was ist ihm denn widerfahren, Doktor?«
    »Die Spuren deuten darauf hin, dass ihn jemand auf dem abgebrochenen Stamm einer Hemlocktanne aufgespießt hat, Will Henry«, sagte er trocken. »Mach fix jetzt! Vergiss nicht, wer Obst haben will, muss auf den Baum klettern!«
    Und viele Hände machen der Arbeit schnell ein Ende , dachte ich, während ich mit der Schaufel fix machte. Der Griff war halb so lang wie bei einer richtigen Schaufel, der Boden steinhart und widerspenstig, und schnell bildeten sich Blasen auf meinen Händen, und ein dumpfer Schmerz setzte sich zwischen meinen Schultern fest. Vom Lagerplatz her hörte ich meine Gefährten streiten – Hawk musste aufgestanden sein –, und ihre geisterhaften Stimmen klangen erdentrückt und blechern in den labyrinthischen Fluren der Baumkathedrale.
    Bald wurde ich ihrer gewahr, wie sie über den gewundenen Pfad auf mich zugewankt kamen, zwischen sich die Leiche des armen Larose tragend, der Sergeant die obere Hälfte, Warthrop die Beine. Hawk, der durch die Enge des Korridors gezwungen war, mit der Last rückwärts zu gehen, verlor auf dem vom Tau rutschigen Untergrund das Gleichgewicht und fiel hin und zog dabei die Leiche zur Seite und nach unten, während der Doktor aufrecht blieb. Das tiefe Loch, aus dem Warthrop in der Nacht zuvor das Herz geholt hatte, riss mit einem ekelhaften Knirschen weit auf, und die Leiche brach entzwei. Die obere Hälfte kamin Hawks Schoß zur Ruhe, der Kopf mit dem roten Haarschopf schmiegte sich in Hawks Halsbeuge, der offene Mund drückte sich in abscheulicher Nachäffung eines Kusses unter das Kinn des Sergeants. Hawk ließ den Oberkörper fallen, rappelte sich auf und verfluchte Warthrop gehörig wegen seines Versäumnisses, mit ihm »zu Boden zu gehen«.
    Als Inhaber der einzigen Schaufel fiel die Ehre der Bestattung des toten Führers mir zu. Hawk wurde ungeduldig; er schien fast verrückt vor Verlangen, diesen Teil des Waldes zu verlassen. Er fiel neben dem Grab auf die Knie und scharrte mit den Händen Erde in das Loch, wobei er in einem fort Obszönitäten vor sich hin murmelte. Dann brach er an einem Baumstamm zusammen, und die Schwere seines Atmens stand in keinem Verhältnis zu der Schwere seiner Anstrengungen.
    »Jemand sollte etwas sagen«, sagte er. »Haben wir etwas zu sagen?«
    Offenbar hatten wir das nicht. Der Doktor streifte sich geistesabwesend Stückchen von Eingeweiden vom Mantel. Ich drehte die Schaufelspitze in der Erde herum.
    Müde, mit Worten, die mir vorkamen, als seien sie jeder Bedeutung beraubt, sagte Hawk das Ave-Maria auf:
    »Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir …«
    Etwas bewegte sich im Dickicht. Eine große Krähe, der schwarze Körper wie Obsidian glänzend, die ebenholzfarbenen Augen neugierig leuchtend, beobachtete uns.
    »Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes …«
    Eine weitere Krähe kam aus dem Schatten gehüpft. Dann noch eine. Und noch eine. Sie standen da, regungslos, auf ihren skelettartigen Beinen das Gleichgewicht haltend, vier Paare ausdrucksloser, schwarzer und seelenloser Augen, die uns beobachteten. Noch mehr tauchten aus dem Gewirr von Gestrüpp und Kletterpflanzen auf; ich zählte dreizehn Krähen, eine stumme Gemeinde, eine Deputation der Einsamkeit, gekommen, um ihre Aufwartung zu machen.
    »Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.«
    Von seinen Gefühlen überwältigt, begann Hawk zu weinen. Der Monstrumologe – und die Krähen – taten dies nicht. Als wir gingen, belegten die Vögel den Ort des Ritus mit Beschlag. Ich blickte zurück und sah, wie sie auf dem behelfsmäßigen Grab herumhüpften und nach den Gedärmen pickten, die Warthrop von seinem Mantel geschnippt hatte.
    Nach einem hastigen Frühstück, das aus trockenem Gebäck und bitterem Kaffee bestand, brachen wir das Lager ab. Obwohl beide Männer begierig waren, die letzte