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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Abgang vollziehen. Hebe deinen Arm an, den Ellbogen gekrümmt, etwa so.«
    Sie legte ihre Hand auf meinen erhobenen Unterarm, und wir stolzierten von der Tanzfläche. Heute sage ich mir, dass ich es mir einbildete – das leichte Schonen ihres rechten Fußes, als wir den Weg zurück zum Tisch meisterten.
    »Will Henry, du siehst nicht gut aus«, bemerkte der Doktor. »Musst du dich übergeben?«
    »Er ist von Natur aus anmutig, Pellinore«, sagte Muriel. »Du solltest stolz sein.«
    »Wieso sollte ich darauf stolz sein?«
    »Bist du denn jetzt nicht sein Ersatzvater?«
    »Ich bin nichts dergleichen.«
    »Dann tut er mir leid.«
    »Das braucht er nicht. Ich habe von einem hochangesehenen Experten auf dem Gebiet gehört, dass seine Atca’k wie der Habicht fliegt.« Er lächelte verkniffen und wechselte unvermittelt das Thema. »Wo ist dein Mann?«
    »John war nicht danach zu kommen.«
    »Dann bist du also allein gekommen?«
    »Würde dich das enttäuschen, Pellinore?«
    »Eigentlich nicht; ich bin froh, dich hier anzutreffen.«
    »Ich spüre, dass eine schlecht getarnte Beleidigung im Anmarsch ist.«
    »Es muss bedeuten, dass es ihm viel besser geht – wenn du sein Krankenbett verlassen und die Nacht mit andern Männern durchtanzen kannst.«
    »Weißt du, es ist nicht dein fehlender Humor, was dich so langweilig macht, Pellinore. Es ist deine Berechenbarkeit.«
    Sie lächelte, doch ihre Neckerei war gezwungen, der Text von einer Schauspielerin vorgetragen, die sich nicht mit ihrer Rolle identifizieren konnte. Der Doktor nahm ihre Verlegenheit natürlich sofort wahr.
    »Muriel«, sagte er, »was ist los?«
    »Es ist nichts. Wirklich.« Sie sah ihm direkt in die dunklen Augen und sagte flehentlich: »Erzähl mir, was passiert ist. John sagt, er erinnert sich nicht, aber ich weiß nicht, ob ich ihm …«
    »Ich kann nur von den Nachwirkungen sprechen«, antwortete der Doktor. »Der Rest – der Teil, den du vermutlich erfahren möchtest – ist Spekulation, Muriel.«
    Sie wartete darauf, dass er fortfuhr. Ein paar Schritte weiter nahm der Tanz seinen Fortgang, ein Wirrwarr aus wirbelnden Farben, Schwarz und Weiß, Rot und Gold.
    »Und ich spekuliere nicht«, fügte er hinzu.
    »Er hat sich verändert«, sagte sie.
    »Darüber bin ich mir im Klaren.«
    »Ich meine nicht körperlich. Obwohl das auch … Er hat seit unserer Rückkehr keine anständige Mahlzeit mehr zu sich genommen. Er versucht es … und würgt, bis er zu ersticken droht. Und er gibt sich keine … Er will sich nicht richtig gepflegt halten. Du weißt, was für ein Pedant er in Sachen Hygiene war, Pellinore. Ich muss ihn baden, nachdem er eingeschlafen ist. Aber das Schlimmste … Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll … Die Geistesabwesenheit , Pellinore … Er ist da … und irgendwie ist er doch nicht da.«
    »Geduld, Muriel. Es sind noch keine drei Wochen vergangen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht, was ich meine. Ich bin seine Frau. Ich kenne den Mann, der in die Wildnis ging. Den Mann, der aus ihr herauskam, kenne ich nicht.«
    In diesem Moment tauchte Damien Gravois an ihrer Seite auf. »Da stecken Sie!«, rief er leise. »Ich dachte, ich hätte Sie verloren.«
    Muriel lächelte zu seinem strahlenden Antlitz hinunter; er war gut und gern zwei Zoll kleiner als sie.
    »Monsieur Henry hat mich um einen Tanz gebeten«, neckte sie ihn. » S’il vous plaît, pardonnez-mois. «
    » Bien sûr , aber wenn Monsieur Henry mit diesen empörenden Versuchen, mir meine Verabredung zu rauben, fortfährt, werde ich ihn zum Duell herausfordern.«
    Er richtete das Wort an den Doktor. »Nun, Pellinore, ich nehme die Wetten für dieses Jahr an.« Er zog einen Zettel aus der Weste. »Ich habe noch neun zwanzig, zehn fünfzehn und elf dreißig offen, falls Sie gerne –«
    »Gravois, Sie wissen, dass ich nicht spiele.«
    Er zuckte mit den Achseln. Muriel lachte über meinen verwirrten Gesichtsausdruck. »Für den Kampf, Will. Das passiert jedes Jahr.«
    »Die späteren Zeiten sind immer schnell belegt«, warf Gravois ein. »Der Alkohol.«
    »Wer kämpft?«, fragte ich.
    »Praktisch jeder. Die Deutschen fangen immer damit an«, meinte Gravois naserümpfend.
    »Letztes Jahr war es das Schweizer Kontingent«, wandte Muriel ein.
    »Ihnen ist schon klar, wie ausgesprochen absurd das ist!«, sagte Gravois. »Die Schweiz!«
    »Es gibt wenige Dinge, die so unmöglich lächerlich sind, Will Henry«, sagte der Doktor, »wie eine Massenschlägerei unter

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