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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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mit dem Studium von Kreaturen zu verbringen, die die Mehrheit der Menschheit lieber ausgerottet gesehen hätte, an Tröstung habhaft zu werden, wessen sie konnten.
    Falls ich, durch jene eigentümliche Osmose eines Betreuers mit seinem Kind, etwas vom Enthusiasmus meines Herrn teilte, so wurde dieses Etwas beim Beginn des Kongresses bald unterdrückt. Ich verbrachte die Stunden jenes ersten Tages im großen Vorlesungsraum, mit nur einer halbstündigen Atempause fürs Mittagessen, in einer verdummenden Atmosphäre endloser Reden, die in trockner Monotonie von Männern gehalten wurden, die keinerlei oratorische Begabung besaßen (manche mit Akzenten, die so breit waren, dass das Wiedererkennen der Muttersprache zu einem Ding der Unmöglichkeit wurde) und über Themen sprachen, die gleichermaßen geheimnisvoll wie langweilig waren.
    Der Kongress begann vorschriftsmäßig mit einer Art Namensverlesung. Der Präsident pro tempore, derselbe Dr. Giovanni, dessen Tollpatschigkeit die Schlägerei am Abend zuvor ausgelöst hatte – er trug stolz ein beeindruckendes Veilchen und ein großes Pflaster auf der Nase zur Schau –, stand kummervoll am Lesepult und verlas laut Namen von einem langen Stück Schreibpapier, auf die manche im Saal mit einem »Aye!« antworteten und andere überhaupt nicht.
    Ich verfolgte – oder vielmehr erduldete – das Verfahren von einem günstigen Punkt hoch über dem Podium aus. Wir saßen auf einem klapprigen Diwan in der Privatloge des Doktors, die der Familie Warthrop von der Gesellschaft in Anerkennung dreier Generationen familiärer Hingabe an die Sache gewährt worden war. Bis zehn Uhr waren wir schließlich beim Buchstaben F angekommen und der Doktor fast außer sich vor Langeweile. Ich wies darauf hin, dass dies eine exzellente Gelegenheit sei, seinen versäumten Schlaf nachzuholen – in der Nacht zuvor hatte er sich im Bett hin und her geworfen –, aber mein freundlicher Vorschlag traf auf vernichtende Geringschätzung.
    Das einzige bisschen Aufregung kam mit der Ankündigung, dass der Präsident der Gesellschaft, Dr. Abram von Helrung, dem Kongress erst am folgenden Tag beiwohnen würde, ohne dass eine Begründung für seine Abwesenheit gegeben wurde. Es grassierten Gerüchte, dass etwas Welterschütterndes im Anzug war – dass von Helrung beabsichtigte, am Ende der Woche eine wissenschaftliche Bombe platzen zu lassen, dass er einen Antrag stellen würde, der die Welt der Naturgeschichte in ihren Grundfesten erschüttern würde. Den wenigen Kollegen, die die Kühnheit besaßen, Warthrop in der Sache auszuhorchen, gab der Doktor eine knappe Antwort, wobei er es ablehnte, das andere Gerücht, das dem ersten auf Adlerschwingen folgte, zu bestätigen – dass im Anschluss an von Helrungs Eingabe dessen ehemaliger Schüler, der berühmte Pellinore Warthrop, vorhatte, sich zu einer Erwiderung zu erheben.
    Um sechs waren wir wieder in unseren Zimmern, womit uns mehr als eine Stunde blieb, um uns für unsere Verabredung zum Abendessen mit Dr. von Helrung umzukleiden. Unter anderen Umständen wäre dies mehr als genug Zeit für einen Kleiderwechsel gewesen (der Doktor, wie ich bereits an anderer Stelle bemerkt habe, schenkte seinem Äußeren so wenig Beachtung, dass es an Geringschätzung grenzte). An diesem Abend jedoch war Warthrop plötzlich so peinlich korrekt wie die pingeligste Gouvernante. Ich als sein Stegreifkammerdiener trug die Hauptlast seiner Besorgnis. Seine Weste war zerknittert. Seine Schuhe waren abgestoßen. Seine Krawatte saß schief. Nach meinem dritten erfolglosen Versuch, einen ordentlichen Knoten zu binden, stieß er meine Hände grob weg und rief: »Lass gut sein! Ich mache es selbst!«
    Sein Vortrag über einwandfreie Umgangsformen – »Sitz gerade, sag ›bitte‹ und ›danke‹, und ›dürfte ich‹, sprich nur, wenn du angesprochen wirst«, »Der Zweck und die Funktion einer Fingerschale …«, et cetera, et cetera – wurde barmherzigerweise vom Erscheinen Skalas unterbrochen, der sich pünktlich um Viertel nach sieben einstellte. Er brummte dem Doktor ein Guten Abend zu und stürmte ohne einen Blick zurück durch die Türen, eine Hand in der ausgebeulten Tasche seines Kolanis vergraben – vielleicht, dachte ich, streichelte er das dicke Endstück eines Schlagstocks.
    Als wir aus dem Gebäude traten, stöhnte der Doktor leise. Ich blickte um mich auf der Suche nach der Quelle seines Kummers und erspähte dieselbe zerlumpte Gestalt vom Abend zuvor, die in der

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