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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Wissenschaftlern.«
    Die Schlägerei begann kurz nach zehn Uhr – um zehn Uhr dreiundzwanzig präzise, Gravois’ Uhr zufolge (er war der ausersehene Zeitnehmer für dieses Jahr) –, als ein italienischer Monstrumologe namens Giuseppe Giovanni versehentlich (jedenfalls behauptete Dr. Giovanni das später) die Verabredung eines griechischen Kollegen anrempelte, woraufhin diese sich ihren Champagner über die Vorderseite ihres Seidenkleids schüttete. Der Grieche vergalt dem Italiener seine Tollpatschigkeit mit einem wilden Schwinger an den Schädel, der Giovannis Kneifer durch den Saal und an den Hinterkopf eines Holländers mit Namen Vander Zanden fliegen ließ, welcher begriff, dass der Mann, der hinter ihm tanzte – ein französischer Kollege von Gravois – ihm mit dem Zeigefinger einen Klaps gegeben hatte. Das darauf folgende Handgemenge machte die Tanzfläche frei. Stühle gingen zu Bruch. Gläser und Flaschen zersplitterten. Männer schlurften mit umeinandergeschlungenen Armen über die Tanzfläche und schlugen ihren neuen Tanzpartnern ohnmächtig auf den Rücken. Das Orchester spielte für ein paar Minuten ein ziemlich ausgelassenes Liedchen, bis die Musiker gezwungen waren, die Flucht zu ergreifen, nachdem zwei Männer auf die kleine Bühne gesprungen waren und die Notenständer packten, um sie sich gegenseitig an den Kopf zu werfen. Die Polizei wurde gerufen, um das Ganze zu beenden – welche Aufgabe erneut Gravois zufiel, dem selbst ernannten Zeremonienmeister –, aber bis die Beamten eintrafen, war alles vorbei.
    »Wer hat den Einsatz gewonnen?«, fragte der Doktor hinterher.
    »Sie werden es nicht glauben, Pellinore«, antwortete Gravois.
    »Sie sind es.«
    »Es ist ein Wunder, nicht wahr?«
    »Schade, dass John nicht hier sein konnte«, sagte Warthrop, während er seine Blicke über die Verwüstung schweifen ließ. »Das hier war immer sein Lieblingsteil des Kolloquiums.«
    Er redete nicht mit mir, bis wir zum Plaza zurückkehrten.
    »Mach’s nicht jetzt, aber wenn wir zur Tür kommen, wirf einen Blick hinter uns, Will Henry. Ich glaube, wir werden verfolgt.«
    Ich befolgte seine Anweisung und drehte mich am Hoteleingang um, woraufhin ich einen hochgewachsenen, schlaksigen Mann von ungefähr zwanzig über die Fifth Avenue hasten sah, eine Melone tief über die Ohren gezogen. Er trug eine schäbige schwarze Jacke und eine fadenscheinige Hose, deren Knie fast durchgescheuert waren.
    »Wer ist das?«, fragte ich den Doktor.
    »Mein ehemaliger New Yorker Schatten«, antwortete er und sagte sonst nichts mehr.

SIEBZEHN
    »Ich habe dich auch vermisst«

    In jenen Tagen befand sich das Hauptquartier der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft der Monstrumologie – oder »die Gesellschaft«, unter welchem Namen sie inoffiziell bekannt war – an der Ecke Zweiundzwanzigste und Broadway, in einem imposanten Gebäude, das in neugotischer Tradition gestaltet war, mit schmalen Bogenfenstern und Türöffnungen, in luftiger Höhe schwebenden Fialen und zähnefletschenden Wasserspeiern, die an den Gesimsen kauerten. Ursprünglich hatte es sich um ein Opernhaus gehandelt, aber die Firma war 1842 bankrottgegangen und hatte das Gebäude an die Gesellschaft verkauft, die es neu ausgestattet hatte, um es ihren eigenen, besonderen Bedürfnissen anzupassen.
    Der Hauptzuschauerraum war in einen Vorlesungs- und allgemeinen Versammlungssaal umgewandelt worden, wo Monstrumologen aus aller Herren Länder sich zu ihrem alljährlichen Kongress versammelten. Das erste und zweite Stockwerk enthielten Sitzungssäle und Büros für Verwaltungsangelegenheiten. Der gesamte dritte Stock war ausgeweidet und zu einer weitläufigen Bibliothek umgestaltet worden, die mehr als sechzehntausend Bände beherbergte, darunter Originalhandschriften, die aus der Königlichen Bibliothek zu Alexandria gerettet worden waren, nachdem Julius Cäsar sie 48 v. Chr. versehentlich in Brand gesetzt hatte.
    Ich wusste nicht, was ich bei meinem ersten Kongress erwarten sollte. Ich wusste nur, dass mein Mentor sich auf dieses alljährliche Ereignis freute wie ein Kind auf den Weihnachtsmorgen. Einmal im Jahr versammelte sich die Crème de la Crème dieser sonderbaren und esoterischsten aller Professionen, um ihre jüngsten Entdeckungen zu teilen, um Erläuterungen zu den neuesten Forschungs- und Untersuchungsmethoden zu geben und um im geselligen Beisammensein gleichgesinnter Geister, die sich, aus welchem Grund auch immer, genötigt sahen, ihr Leben

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