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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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nicht darin entdecken, auch nicht, nachdem sie den schweren Deckel abgenommen und mich angewiesen hatte, genau hinzusehen.
    »Es ist nur ein Baby«, sagte sie. »Sie werden bis zu fünf Fuß groß, sagt Onkel. Das da ist es, der große Klumpen da. Das macht er gern – sich im Sand eingraben –, falls es ein Er ist. Onkel sagt, sie sind sehr selten und eine ganze Menge Geld wert, besonders lebendig. Sie vertragen die Gefangenschaft nicht gut. Da! Hast du gesehen, wie er sich bewegt hat? Er hört uns.« Das verborgene Wesen wogte unter seiner Decke aus ockergelben Körnern.
    »Was ist es?«, hauchte ich.
    »Dummerchen, du bist doch der Monstrumologe in der Ausbildung! Ich habe dir genug Hinweise gegeben. Lebt in der Wüste; wird bis zu fünf Fuß lang; ist sehr selten; ist sehr wertvoll. Einen Hinweis gebe ich dir noch: Es stammt aus der Wüste Gobi.«
    Ich schüttelte den Kopf. Sie sperrte vor Verwunderung über meine Ignoranz den Mund auf und sagte: »Ich wusste sofort, was es ist, und mit weniger Fingerzeigen als du, William Henry. Du hast nicht besonders viel gelernt unter Dr. Warthrop, nicht wahr? Entweder ist er ein sehr schlechter Lehrer oder du bist ein erbärmlicher Schüler. Ich fange an zu glauben, dass ich mehr weiß als du. Onkel sagt, Frauen dürfen der Gesellschaft nicht beitreten, aber ich werde es! Ich werde die allererste Monstrumologin sein! Was sagst du dazu? … Sieh nur! Ich glaube, er steckt die Schnauze raus!«
    In der Tat tauchte etwas aus dem wallenden Sand auf – ein runzliger Ring von der Größe einer Vierteldollarmünze mit einem pechschwarzen Zentrum, in dem sich allem Anschein nach winzige, dreieckige Zähne drängten. Es handelte sich zweifellos um den Mund des Wesens, aber das war alles, was ich identifizieren konnte; es hatte keine Augen oder Nase oder sonstigen charakteristischen Merkmale, nur den kleinen Mund, der sich wie bei einem Karpfen öffnete und schloss.
    »Die Mongolen haben solche Angst vor ihnen, dass sie glauben, sogar das Aussprechen des Namens bringt Unglück«, sagte Lilly. »Da du es nicht weißt, will ich es dir sagen: Es ist ein Allghoi khorkhoi .«
    Sie beobachtete mein Gesicht und wartete darauf, dass dieplötzliche Erleuchtung es erhellte. Ah, aber ja doch! Der Allghoi khorkhoi! Ohne es zu Ende zu denken, immer noch leidend unter ihrer geringschätzigen Herabsetzung der Qualität meiner Ausbildung, in einem jener Momente, den zu bedauern wir verurteilt sind, schlug ich mir mit der Hand klatschend an die Stirn, so wie ich es beim Doktor tausendmal gesehen hatte, und rief: »Ah, aber ja doch! Der Allghoi khorkhoi! An den habe ich nicht gedacht. Sie sind wirklich sehr selten, deshalb wäre es mir nie in den Sinn gekommen, dass ihr tatsächlich ein lebendiges Exemplar haben könntet! Das ist ja ein Ding!«
    Ihre Augen verengten sich argwöhnisch. »Dann hast du also von ihm gehört?«
    »Na klar. Habe ich das nicht gerade gesagt?« In die Augen sehen konnte ich ihr allerdings nicht.
    »Würdest du ihn gern mal halten?«
    »Ihn halten?«
    »Ja. Damit wir das Geschlecht bestimmen können.«
    »Das Geschlecht bestimmen?«
    »Warum wiederholst du alles, was ich sage? Wir müssen wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, damit wir ihm einen Namen geben können. Du weißt doch, wie man das Geschlecht eines Khorkhoi bestimmt, oder?«
    »Natürlich weiß ich das.« Ich machte eine wegwerfende Handbewegung – die ich ebenfalls unzählige Male beim Doktor beobachtet hatte – und schnaubte verächtlich. »Das ist ein Kinderspiel.«
    »Gut!«, rief sie. »Ich habe mich für ›Mildred‹ entschieden, wenn es ein Mädchen ist, und ›Howard‹, wenn es ein Junge ist. Nimm ihn hoch, Will, und lass uns nachsehen!«
    Jetzt gab es kein Entkommen mehr. Welche Ausflucht stand mir noch zur Verfügung? Ich hätte behaupten können, eine schwere Allergie gegen die Dinger zu haben, aber das hätte sie augenblicklich durchschaut. Ich hätte fachmännisches Können im Erkennen des Geschlechts eines Khorkhoi anhand seiner Mundformvortäuschen und damit die Notwendigkeit ihn zuberühren negieren können, aber auch das konnte ins Auge gehen und ihren ursprünglichen Verdacht, ich könnte einen Khorkhoi nicht von einem Loch im Boden unterscheiden, bestätigen.
    Somit – da ich nun einmal die eisernen Ketten der Täuschung gewählt und mich sozusagen durch meine eigene Possenreißerei damit gefesselt hatte – griff ich ins Terrarium und schob die Hand behutsam unter den wogenden

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