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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Wurm, wobei ich geflissentlich darauf achtete, die Finger weit weg von seinem sich zusammenziehenden Mund zu halten. Er war schwerer als erwartet und auch dicker, ungefähr vom Umfang meines Handgelenks, wodurch es schwierig wurde, ihn mit einer Hand zu greifen. Die Aufgabe wurde noch problematischer durch die augenblicklich offenkundig werdende Tatsache, dass der Khorkhoi sich nicht gern halten ließ. Er wand sich in meiner zittrigen Hand, krümmte sich und drehte das Ende mit dem Mund herum. (»Kopf« kann ich es nicht nennen, denn bis auf die Körperöffnung gab es zwischen Vorder- und Hinterteil keine Abgrenzung.) Sein Körper war rötlich braun und erinnerte mich von Aussehen und Textur her an Kuhdarm.
    »Nimm beide Hände zu Hilfe, Will«, flüsterte sie. So eifrig war ich damit beschäftigt, das Wesen ja nicht fallen zu lassen, dass mir nicht auffiel, dass sie weggeschlichen war und Abstand zwischen sich und mir und meiner Fracht hielt.
    Es schien mir ein vernünftiger Vorschlag. Die Kreatur musste mehr als sechs Zoll lang sein. Ich hatte sie zum Hinterteil hin aufgehoben, und der kleine, faltige Mund wogte und tänzelte frei in der Luft. Vorsichtig streckte ich die linke Hand aus, um ihn zu packen. Wie das Wesen meine Annäherung ohne Augen oder Nasenlöcher spürte, weiß ich nicht, aber spüren tat der Khorkhoi sie.

Schneller als ich blinzeln konnte, stieß er zu, mehr wie eine Klapperschlange denn ein Wurm. (Erst später sollte ich herausfinden, dass es sich tatsächlich um ein Mitglied der Reptilienfamilie handelte.) Er rollte sich zusammen und schnellte dann wie eine Peitsche auf mein Gesicht zu, indes der kleine Mundsich auf das Doppelte seiner ursprünglichen Größe ausdehnte und Reihe um Reihe winziger Zähne enthüllte, die nach hinten in den lichtlosen Tunnel seines Schlunds marschierten. Instinktiv riss ich den Kopf zurück, was mein Gesicht rettete, jedoch meinen Hals entblößte. Das Letzte, was ich sah, bevor er sich darin verbiss, waren die Zähne, die aus dem Innern des klaffenden Abgrunds seines Munds hervorkamen.
    Zuerst spürte ich den Biss nicht. Stattdessen spürte ich einen enormen Druck, als er sich, mittels seiner gummiartigen Lippen, mit blutegelhafter Entschlossenheit befestigte, und dann war da das Klatschen seines Körpers gegen meine Brust, denn er hatte sich aus meiner Hand befreit. Er wand sich ein Stück um meinen Hals und begann sofort zuzudrücken und mir die Luft abzuschneiden, während gleichzeitig etwas siedend Heißes die Stelle unter seinem verankerten Mund versengte. Ein Khorkhoi , sollte ich später erfahren, frisst nicht das Fleisch seiner Opfer, noch trinkt er, im strengen Sinn, ihr Blut. Eher wie die Spinne benutzt er seinen giftigen Speichel, um das Fleisch seiner Beute zu verflüssigen; seine Zähne sind rudimentäre Überbleibsel aus seiner evolutionären Vergangenheit. Das Würgeverhalten dient, wie das Netz der Arachnoiden, der Verhinderung der Beweglichkeit. Es versteht sich von selbst, dass es ausgesprochen schwierig ist, sich zu wehren, während man bewusstlos ist.
    Verrückt vor Panik griff ich nach dem Monster. Lilly schauderte entsetzt zurück. Ihr kleines Spielchen war urplötzlich außer Kontrolle geraten, und jetzt schien das Resultat sie zu lähmen. Ich stolperte gegen den Tisch … verlor das Gleichgewicht … stürzte. Dunkle Blumen erblühten in meinem Gesichtsfeld.
    Sie schrie, und ihre Schreie erreichten mich wie aus großer Entfernung, und es war der Nebelschleier dieses sich drehenden, immer größer werdenden Gartens rabenschwarzer Blumen, durch den ich mit ansah, wie sie aus dem Raum rannte und das Licht mit sich nahm und die Dunkelheit und die verrückten Bewohner von ›Nicht Klassifizierte 101‹ des Unteren Monstrumariums bei mir zurückließ.

NEUNZEHN
    »Wen habe ich verraten?«

    Ich war eine ganze Zeit lang in dieser Dunkelheit.
    Und als die Dunkelheit ging, war der Monstrumologe bei mir.
    »Bist du jetzt wach?«, fragte er mich.
    Ich versuchte zu sprechen. Ein brennender Schmerz vom Hals bis zur Lunge belohnte meine Mühe; Letztere fühlte sich an, als hätte jemand einen großen Stein daraufgelegt. Zuerst war mein Kopf völlig leer; dann fiel mir wieder ein, wo ich war, und dafür war ich froh, denn das Kissen unter meinem Kopf war sehr weich – viel weicher als mein Kissen in der Harrington Lane. Das Hotelbett war viel größer als das in der kleinen Dachkammer – und auch dafür war ich froh. Es gab sogar eine warme Anwandlung

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