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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Eingeweiden ersticken oder im Bauch irgendeines Tiers verdaut werden, das nicht sonderbarer ist als die demütige Stubenfliege!«
    Er holte tief Atem, die Pause vor dem Beginn des nächstenSatzes seiner Sinfonie, dann wurde er plötzlich ganz still, den Kopf leicht schräg gelegt. Ich horchte, hörte jedoch nichts außer dem sanften Kuss des Regens auf dem Fenster und dem monotonen Ticken der Kaminuhr.
    »Jemand ist hier«, sagte er. Er drehte sich um und spähte durch die Rollläden. Ich konnte nichts sehen außer der Widerspiegelung seines kantigen Gesichts. Wie hohl seine Wangen waren! Wie blass sein Fleisch! Kühn hatte er über sein letztendliches Schicksal gesprochen – wusste er, wie nah er diesem wertlosen Staub schien, dem er entsprungen war?
    »Rasch, zur Tür, Will Henry! Wer es auch ist, denk dran, ich bin indisponiert und kann keine Besucher empfangen. Nun, worauf wartest du? Mach fix, Will Henry, mach fix!«
    Einen Moment später läutete es. Er schloss die Tür zum Studierzimmer hinter mir. Ich zündete die Gaslichter in der vorderen Diele an, um die unnatürlichen Schatten zu verjagen, die dick im Eingang lagen, und machte die Tür weit auf, um die schönste Frau zu erblicken, die ich in all den Jahren meines außerordentlich langen Lebens jemals gesehen habe.

ZWEI
    »Es gibt nichts, was ich für dich tun kann«

    »Nanu, hallo du!«, sagte sie mit einem verwirrten Lächeln. »Ich fürchte, ich habe mich vielleicht verlaufen. Ich suche das Haus von Pellinore Warthrop.«
    »Dies ist Dr. Warthrops Haus«, antwortete ich mit nur mäßig fester Stimme. Verblüffender noch als ihr außergewöhnliches Aussehen war die Tatsache ihrer Anwesenheit vor unserer Tür. In der ganzen Zeit, die ich bei ihm gelebt hatte, hatte der Doktor nie weiblichen Besuch erhalten. Das passierte einfach nicht. Die Schwelle der Harrington Lane 425 war nicht die Art von Ort, an dem eine richtige Dame erschien.
    »Oh, gut! Ich dachte schon, ich bin hier vielleicht falsch.«
    Ohne meine Aufforderung trat sie ins Vestibül, legte ihren grauen Reiseumhang ab und rückte ihren Hut zurecht. Eine Strähne ihres kastanienbraunen Haars war seiner Nadel entkommen und klebte jetzt tropfend an ihrem anmutigen Hals. Ihr Gesicht strahlte im Schein der Lampen, regenfeucht und ohne Makel – es sei denn, der feine Sprühnebel von Sommersprossen über ihrer Nase und ihren Wangen hätte als solcher bezeichnet werden können –, wenngleich ich zugeben will, dass es vielleicht nicht die Beleuchtung war, die sie mit vollkommenen Farben malte.
    Es kommt mir über die Maßen seltsam vor, dass ich, der es mir keine Schwierigkeiten bereitet, die mannigfaltigen Manifestationen des Doktors grausigen Gewerbes zu beschreiben, die widerlichen Bewohner der Dunkelheit in all ihren grotesken Aspekten bis hin zum kleinsten Detail, jetzt mit dem Lexikon ringe, nach Worten greife, die so ephemer sind wie das Irrlicht, um der Frau gerecht zu werden, die ich an jenem Sommernachmittag vor siebzig Jahren traf. Ich könnte von der Art und Weise sprechen, wie das Licht ihre glitzernde Lockenfülle umspielte – doch was wäre gewonnen? Ich könnte unaufhörlich reden über ihre smaragdgrünen Augen, die mit funkelnden Stückchen helleren Grüns gesprenkelt waren – und es dennoch fehlen lassen. Es gibt Dinge, die zu schrecklich sind, um sich daran zu erinnern, und es gibt Dinge, die fast zu wundervoll sind, um sich ihrer zu entsinnen.
    »Könntest du ihm sagen, dass Mrs. Chanler da ist, um ihn zu sprechen?«, fragte sie. Sie lächelte mich herzlich an.
    Ich stammelte etwas vollkommen Unverständliches, was nicht dazu beitrug, ihr Lächeln zu schwächen.
    »Er ist doch da, oder?«
    »Nein, Ma’am«, brachte ich heraus. »Ich meine, ja, er ist da, aber er ist nicht … Der Doktor ist indisponiert.«
    »Na ja, wenn du ihm sagen würdest, dass ich hier bin, wäre er vielleicht geneigt, eine Ausnahme zu machen.«
    »Ja, Ma’am«, sagte ich und fügte dann schnell hinzu: »Er ist sehr beschäftigt, deshalb –«
    »Oh, er ist immer beschäftigt «, sagte sie mit einem erfreuten kleinen Lachen. »Ich habe ihn nie anders erlebt. Aber wo bleiben meine Manieren? Wir sind einander gar nicht ordentlich vorgestellt worden.« Sie bot mir ihre Hand an. Ich ergriff sie und fragte mich erst später, ob es ihre Absicht gewesen war, sie von mir küssen zu lassen. Ich war erbärmlich unwissend in feiner Lebensart. Ich wurde schließlich ja auch von Pellinore Warthrop

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