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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Personenzug ist ein Wanderzirkus der Pest, Will Henry. Ein gemischtes Buffet an menschlichen Gerichten. Pass auf, dass du nicht auf die Speisekarte gesetzt wirst!«
    Ab und zu wurde ich losgeschickt, um etwas zu besorgen, Tee und Backwaren (die tiefe Enttäuschung des Doktors, dass es nicht ein einziges Scone an Bord gab, wäre komisch gewesen, wäre nicht ich es gewesen, der die volle Wucht seines Missfallens ertragen musste) und Zeitungen, alle und jede, die ich finden konnte, in jeder Sprache (der Monstrumologe war in mehr als zwanzig bewandert). Er las, er trank massenhaft Darjeeling, durchmaß das Abteil wie ein Tiger im Käfig oder starrte aus dem Fenster, wobei er in seine Unterlippe kniff und an ihr zog, bis sie dick und rot wurde. Er murmelte vor sich hin, er schreckte zusammen, wenn ich die Tür öffnete, versenkte die Hand in der Manteltasche, wo er den Revolver aufbewahrte – er wagte sich nie irgendwo ohne ihn hin. Er schlief bei Licht, er fing an, sich einen Bart wachsen zu lassen, und er aß ständig und in gewaltigen Mengen, sodass er auf der Dreizehnhundert-Meilen-Reise zur Südspitze Italiens mehrere Pfund zulegte. Bei einer Mahlzeit wurde ich Zeuge, wie er zwei Rindersteaks, einen halben Laib Brot und vier Glas fette Buttermilch konsumierte. Er nahm meine vor Erstaunen ob dieser gefräßigen Vollbringung aufgerissenen Augen zur Kenntnis und sagte: »Ich baue Reserven auf.« Dieser Kommentar bereitete mir Kopfzerbrechen. Was erwartete mich in den kommenden Tagen – Hunger? Gab es nichts zu essen auf der Insel Sokotra?
    Bis wir die italienischen Alpen erreichten, hatte die Verletzung seines Stolzes das Seuchenstadium erreicht, und einesspäten Abends, präzise in dem Moment, als ich eindämmerte, weckte er mich mit der Frage auf, die er für solche Momente reserviert hatte.
    »Will Henry, schläfst du?«
    »Nein, Dr. Warthrop, tu ich nicht.« Nicht mehr , Dr. Warthrop!
    »Ich kann auch nicht schlafen. Ich kann nicht aufhören, an Torrance zu denken. Er war neunundzwanzig – hatte kein Jahr mehr bis zur magischen Dreißig. Weißt du, dass die meisten Monstrumologen während ihres dreißigsten Lebensjahres so zurückgezogen wie tibetanische Mönche leben? Nur selten begeben sie sich in den praktischen Einsatz oder beteiligen sich an irgendeiner Jagd, die ihre Chancen, den dreißigsten Geburtstag zu erreichen, gefährden könnte. Ich hatte einmal einen Kollegen, der die letzten sechs Monate seines dreißigsten Jahres eingesperrt in seinem Zimmer verbrachte, mit Brettern vor den Fenstern und noch nicht einmal einem Buch als Zeitvertreib. Er hatte Angst, sich den Finger an einer Seite aufzuschneiden und an einer Infektion zu sterben.«
    »Dr. Torrance sagte, er wurde Monstrumologe, weil er gern Lebewesen umbringt.«
    »Damit war er nicht allein, bloß hat er es zugegeben. Aber er war ein sehr guter Wissenschaftler und intellektuell vollkommen furchtlos; er hatte keine Angst, da hinzugehen, wo weisere Männer zittern. Du hättest keinen besseren Mann aussuchen können, um Thomas Arkwright zu brechen.«
    Ich hörte, wie er sich in seinem Bett aufrichtete. Ich hob den Kopf und sah seine Silhouette vor dem Fenster und dann sein Gesicht, das sich im Glas spiegelte. Sein Gesicht hatte sich verändert – die Wangen waren voller, die untere Hälfte von seinem neuen Bart verdunkelt –, alles außer den Augen, die immer noch mit demselben kalten, hinterleuchteten Feuer strahlten.
    »Ich wusste nicht, was er vorhatte«, verwahrte ich mich. »Es ging so schnell …«
    Er hob die Hand. Ließ sie fallen. »Es ist ein wesentlicher Bestandteil des Geschäfts, Will Henry. Arkwrights, Torrances … unseres. Irgendwann verlässt einen das Glück. Ich nehme an, ich wäre weniger im Widerstreit mit mir wegen Arkwright, wenn der Mann sich nicht so ins Zeug gelegt hätte, um mir das Leben zu retten.«
    »Genau das hat er auch Dr. Torrance erzählt – unmittelbar bevor Dr. Torrance ihn tötete. Wie hat er Ihnen das Leben gerettet?«
    Der Monstrumologe verschränkte die Hände hinterm Rücken und sprach zu meinem Spiegelbild im Glas. »Indem er zwingend darlegte, dass ich tot mehr Ärger machen würde als lebend.«
    »Es waren diese russischen Agenten in Paddington, nicht wahr? Rurick und …«
    »Plešec. Ja. Beschatteten uns von dem Moment an, als wir in London ankamen. Ich bin nicht so sehr enttäuscht von mir, dass ich es nicht wusste – aber Arkwright, er hätte es wissen müssen. Er war schließlich ein

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