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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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halte sie still!«
    Er trug mich in die Küche. Auf dem Boden beim Herd stand der Waschzuber, halb voll mit dampfend heißem Wasser. Ich sah den Teekessel auf dem Herd, und mit einem merkwürdigen, schmerzlichen Anflug von Traurigkeit wurde mir klar, dass es der Kessel war, den ich pfeifen gehört hatte, kein Zug. Meine Mutter und mein Vater waren wieder fort, verschluckt vom grauen Nebel.
    Der Monstrumologe setzte mich auf den Boden vor den Zuber und sich selbst dann hinter mich, wobei er seinen Körper dicht an mich drückte. Er griff um mich herum und packte mit festem Griff meine Arme, direkt unter den Ellbogen.
    »Das wird jetzt brennen, Will Henry.«
    Er beugte sich vor, zwang mich zu der dampfenden Oberfläche hin, und dann tauchte er meine blutigen Hände in die Lösung, ein Gemisch aus heißem Wasser und Karbolsäure.
    Da fand ich meine Stimme wieder.
    Ich schrie; ich trat um mich; ich schlug um mich; ich stieß mich heftig zurück, aber der Monstrumologe gab nicht nach. Durch meine Tränen sah ich den purpurnen Nebel von Kendalls Blut in der klaren Lösung, wie er sich mit schlangenförmigen Tentakeln ausbreitete, bis ich meine Hände nicht mehr sehen konnte.
    Der Doktor presste die Lippen auf mein Ohr und flüsterte grimmig: »Willst du leben? Dann halte aus! Halte aus!«
    Schwarze Sterne erblühten vor meinen Augen, wurden zu Supernovä, flackerten und erloschen. Als ich es nicht länger ertragen konnte, genau in dem Moment, als ich mich am Rande der Bewusstlosigkeit bewegte, zog der Monstrumologe meine Hände heraus. Die Haut hatte ein leuchtendes Sonnenbrandrot angenommen. Er hielt sie hoch, drehte sie hin und her, und dann versteifte sich sein Körper an meinem. Er schnappte nach Luft.
    »Will Henry, was ist das?«
    Er deutete auf eine kleine Schramme am mittleren Knöchel meines linken Zeigefingers. Aus ihrer Mitte stieg frisches Blut auf. Als ich nicht sofort antwortete, schüttelte er mich leicht.
    » Was ist das? Hat er dich gebissen? Ist das ein Kratzer? Will Henry!«
    »Ich … ich weiß es nicht! Ich bin die Treppe runtergefallen … Ich glaube nicht, dass er es war.«
    »Denk nach, Will Henry! Denk nach!«
    »Ich weiß es nicht, Dr. Warthrop!«
    Er stand auf, und ich fiel nach hinten, zu schwach, um mich zu erheben, zu verängstigt, um noch etwas zu sagen. Ich schaute in sein Gesicht und sah einen Mann, der in der zermalmenden Umarmung der Unentschlossenheit feststeckte, gefangen zwischen zwei unannehmbaren Handlungsweisen.
    »Ich weiß nicht genug. Gott vergib mir, ich weiß nicht genug!«
    Er wirkte so groß, wie er über mir stand, ein Koloss, einer der Nephilim, der Rasse der Riesen, die über die Erde schritten, als die Erde jung war. Seine Augen huschten im Raum herum, als suchte er nach einer Lösung für sein unmögliches Dilemma, als wäre irgendwo in der Küche das Zeichen, das ihm den Weg weisen würde.
    Dann wurde der Monstrumologe ganz still. Seine rastlosen Augen kamen auf meinem nach oben gekehrten Gesicht zur Ruhe.
    »Nein«, sagte er leise. »Nicht Gott.«
    Er ging schnell weg, und ehe ich den Hals recken konnte, um zu sehen, wohin er gegangen war, kam er wieder zurück, in der Hand das Fleischermesser.
    Er beugte sich über mich, streckte die Hand aus, packte mein linkes Handgelenk, riss mich vom Boden hoch, zerrte mich zum Küchentisch, klatschte meine Hand darauf, schrie: »Spreiz die Finger!«, presste seine linke Hand fest auf meine, hob das Messer und ließ es niedersausen.

Acht
    »Das Einzige, das mich noch Mensch bleiben lässt«

    Willst du leben?
    Der Duft von Lilien. Das Geräusch von Wasser, das in ein Becken tropft. Die Berührung eines warmen, feuchten Tuchs.
    Und ein Schatten. Eine Gegenwart. Ein Silhouette jenseits meiner umflorten Augen.
    Willst du leben?
    * * *
    Ich schwebe an der Decke. Unter mir ist mein Körper. Ich sehe ihn deutlich, und neben dem Bett: der Monstrumologe, der den Waschlappen auswringt.
    Dann deckt er mich zu. Ich kann sein Gesicht nicht sehen. Er betrachtet mein anderes Gesicht, mein sterbliches Gesicht, dasjenige, das dem Jungen im Bett gehört.
    Er setzt sich wieder hin. Jetzt kann ich sein Gesicht sehen. Ich will etwas zu ihm sagen. Ich will seine Frage beantworten.
    Er reibt sich die Augen. Er fährt sich mit den langen Fingern durchs Haar. Er beugt sich vor, stützt sich mit den Ellbogen auf den Knien ab und vergräbt das Gesicht in den Händen. Nur einen Moment lang bleibt er so, und dann steht er auf, geht zum Fußende des Betts

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