Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

den Kopf. Meine Stimme hatte ich noch nicht wiedergefunden.
    »Beweg dich nicht! Halte die Hände vom Körper weg! Ich bin sofort wieder da. Hast du verstanden, Will Henry?«
    Er richtete sich schwankend auf und rannte zur Küche. Er ist menschlich, der unwiderstehliche Drang, genau das zu machen, wovor man gewarnt worden ist. Das Taschentuch war immer noch um mein Gesicht gebunden. Ich hatte das Gefühl, langsam erstickt zu werden, und alles, was ich wollte, war, es herunterzureißen.
    Gleich darauf war er wieder da, an den Händen ein Paar frische Handschuhe, und er zog mir die Maske herunter, als würde er, auch ohne dass ich es ihm sagte, die unmittelbare Ursache meiner Notlage kennen. Ich atmete lange und schaudernd ein.
    »Nicht bewegen, nicht bewegen, noch nicht, noch nicht«, flüsterte der Monstrumologe. »Vorsichtig, vorsichtig. Hat er dich verletzt, Will Henry? Hat er dich gebissen oder gekratzt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Warthrop betrachtete prüfend und eingehend mein Gesicht, und dann, so abrupt wie er zurückgekommen war, verließ er mich wieder. Der Flur begann in einem grauen Nebel zu verschwinden. Mein Körper trat in den Schockzustand ein; plötzlich war mir entsetzlich kalt.
    * * *
    In der Ferne höre ich den klagenden Ruf der Pfeife eines Zuges. Der Nebel teilt sich, und am Bahnsteig stehen meine Mutter und ich, einander an der Hand haltend, und ich bin ganz aufgeregt.
    Ist er das, Mutter? Ist das der Zug?
    Ich glaube, das ist er, Willy.
    Meinst du, Vater hat mir ein Geschenk mitgebracht?
    Wenn er das nicht hat, dann ist er nicht länger dein Vater.
    Ich frage mich, was es wohl sein mag?
    Ich mache mir Sorgen, was es wohl sein mag.
    Vater war diesmal sehr lange weg.
    Ja.
    Wie lange war es, Mutter?
    Sehr lange.
    Letztes Mal hat er mir einen Hut mitgebracht. Einen blöden Hut.
    Aber Willy! Es war ein sehr hübscher Hut.
    Ich will, dass er mir diesmal etwas Besonderes mitbringt.
    Etwas Besonderes, Willy?
    Ja! Etwas Wunderschönes und Besonderes, wie die Orte, an die er geht.
    Ich glaube nicht, dass du sie so wunderschön und besonders finden würdest.
    Doch, würde ich und werde ich! Vater sagt, eines Tages wird er mich mitnehmen, wenn ich alt genug bin.
    Meine Hand fest packend. Und, in der Ferne, das Schnauben und Grollen der Lokomotive.
    Dafür wirst du niemals alt genug sein, William James Henry.
    Eines Tages wird er mich mitnehmen. Er hat es mir versprochen. Eines Tages werde ich Orte sehen, von denen andere Menschen nur träumen.
    Der Zug ist ein lebendiges Wesen; er kreischt ärgerlich, weil er sich über die Gleise beschwert. Aus seinem Schornstein weht mürrisch schwarzer Rauch. Der Zug starrt verächtlich auf die Menge, den wichtigtuerischen Zugbegleiter, die Gepäckträger in ihren adretten weißen Jacken. Und er ist riesig, pulsierendvor Macht und unterdrückter Wut. Er ist ein schnaubendes, grollendes, aufgebrachtes Monster, und der Junge ist begeistert. Welcher Junge wäre das nicht?
    Augen auf jetzt, Willy! Halt nach deinem Vater Ausschau! Mal sehen, wer ihn zuerst entdeckt.
    Ich sehe ihn! Ich sehe ihn! Da ist er!
    Nein, das ist er nicht.
    Doch, das   – Ach nein, er ist es doch nicht.
    Halt weiter Ausschau!
    Da! Da ist er! Vater! Vater!
    Er hat abgenommen; seine staubigen Kleider, zerknittert von der Reise, hängen lose an seiner hageren Gestalt. Er hat sich wochenlang nicht rasiert, und seine Augen sind müde, aber er ist mein Vater. Ich würde ihn überall wiedererkennen.
    Da ist er ja! Da ist mein Will! Komm her zu mir, Junge!
    Ich springe tausend Fuß in die Luft; die Arme, die mich hochheben, sind dünn, aber stark, und sein Gesicht wendet sich mir zu, und dann presst sich mein Gesicht an seinen Hals, und es ist sein Geruch unter dem Ruß der Eisenbahn.
    Vater! Was hast du mir mitgebracht, Vater?
    Dir mitgebracht! Wie kommst du auf den Gedanken, ich hätte dir etwas mitgebracht?
    Lachend, und seine Zähne sind ganz hell in seinem stoppligen Gesicht. Er schickt sich an, mich abzusetzen, damit er seine Frau umarmen kann.
    Nein! Trag mich, Vater!
    Willy, dein Vater ist müde.
    Trag mich, Vater!
    Ist schon gut, Mary. Ich werde ihn tragen.
    Und das schrille, erschreckende Kreischen des Monsters, der letzte verärgerte Stoß seines Atems, und ich bin endlich zu Hause, in den Armen meines Vaters.
    * * *
    Warthrop hob mich vom Boden hoch und verzog das Gesicht bei der Anstrengung, mich so weit wie möglich von seinem Körper wegzuhalten.
    »Halte die Hände hoch, Will Henry. Und