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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Ainsworth in seinem muffigen Kellergeschossbüro an, wo er auf einem hohen Stuhl hinter dem massiven Schreibtisch thronte, auf dem sich gewaltige Berge vonPapier bis halb zur Decke erhoben. Dies, nachdem wir den Serpentinenpfad durch Bücher, Kartons und Kisten bewältigt hatten – Lieferungen, die darauf warteten, katalogisiert und im Haus der Kuriositäten der Gesellschaft an der Ecke Sechsundzwanzigster Straße und Broadway eingelagert zu werden. An der Wand hinter dem reizbaren Alten hing das Wappen der Gesellschaft und darin eingeschrieben der Wahlspruch Nil timendum est   – »Nichts ist zu fürchten«.
    »Im Monstrumarium sind keine Kinder erlaubt!«, schrie er meinen Herrn ohne Präambel an.
    »Aber dies ist Will Henry, Adolphus«, erwiderte Warthrop in lautem, aber respektvollem Ton. »Sie erinnern sich doch an Will Henry.«
    »Ausgeschlossen!«, schrie Adolphus. »Man kann kein Mitglied werden, ehe man achtzehn ist. So viel weiß ich, Pellinore Warthrop!«
    »Er ist mein Assistent!«, protestierte der Monstrumologe.
    »Bei mir hüten Sie gefälligst Ihre Zunge, Doktor! Er muss auf der Stelle gehen!« Er drohte mir mit dem Kopf seines Gehstocks. »Auf der Stelle!«
    Warthrop legte eine Hand auf meine Schulter und sagte mit einer Stimme, die nur wenig leiser als ein Schreien war: »Es ist Will Henry, Adolphus! Sie erinnern sich doch – letzten November! Sie haben ihm das Leben gerettet!«
    »Oh, ich erinnere mich sehr gut daran!«, schrie der alte Waliser. »Er ist ja der Grund, weshalb wir die Regel haben!« Er fuchtelte mir mit einem schwieligen Finger vor dem Gesicht herum. »Hast an Orten herumgestöbert, wo Kinder nicht herumstöbern sollten, nicht wahr, kleiner Mann?«
    Die Finger des Doktors drückten meinen Nacken zusammen, und ich, wie seine Marionette, nickte daraufhin schnell.
    »Ich werde ihn unter strengster Aufsicht halten«, versprach der Doktor. »Er wird sich keinen Zoll weit aus meinen Augen entfernen.«
    Bevor Professor Ainsworth weitere Verwahrung einlegenkonnte, stellte Warthrop die schwarze Reisetasche auf den Schreibtisch. Adolphus brummte, klappte die Schnallen auf, stemmte den Deckel auf und blickte prüfend hinein.
    »So, so!«, sagte er. »So, so, so, so !«
    »Genau, Adolphus«, antwortete der Doktor. » Nidus ex   … «
    »Oh-ho, glauben Sie das wirklich, Dr. Warthrop?«, unterbrach ihn der Kurator und klickte mit den Zähnen. Er steckte seine schwieligen Hände in ein Paar Handschuhe und griff ins Innere der Tasche. Instinktiv versteifte sich der Doktor, besorgt vielleicht, die arthritischen Hände könnten seine kostbare Fracht beschädigen.
    Adolphus schob die leere Tasche mit dem Unterarm beiseite und setzte das grausige Nest behutsam auf dem Schreibtisch ab. Dann nahm er eine große Lupe aus der Jackentasche und machte sich daran, das Ding von Nahem in Augenschein zu nehmen.
    »Ich habe das Exemplar bereits gründlich auf …«, setzte der Doktor an, bevor Adolphus ihm das Wort abschnitt.
    »Haben Sie schon! Hmmmm. Ja. Haben Sie? Hmmmmmmm.«
    Sein Auge, ulkig vergrößert durch die Lupe, wanderte über das Exemplar. Seine falschen Zähne klickten – eine nervöse Angewohnheit. Adolphus war ziemlich stolz auf seine Zahnprothese und hing einigermaßen an ihr – ebenso wie sie an ihm, biologisch gesehen. Sie war aus den Zähnen seines Sohnes, Alfred Ainsworth, angefertigt worden, der Oberst in der Armee der Nordstaaten gewesen war. Er war in der Schlacht von Antietam gefallen und seine Zähne nach seinem Tod geborgen und an Adolphus geschickt worden, welcher von da an stolz – und buchstäblich – ein heldenhaftes Lächeln zur Schau trug.
    »Selbstverständlich hätte ich es Ihnen nicht zur sicheren Verwahrung gebracht, wenn ich mir seiner Echtheit nicht unzweideutig sicher wäre«, sagte der Monstrumologe. »Es gibt niemanden, in den ich mehr Vertrauen setze oder für den ich höhere Bewunder…«
    »Bitte, bitte, Dr. Warthrop. Ihr unablässiges Geschwätz bereitet mir Kopfschmerzen.«
    Ich zuckte zusammen in Erwartung der Explosion, doch es erfolgte keine. Neben mir lächelte Warthrop so gütig wie Buddha, völlig gelassen. Niemand hatte meines Wissens je so unverschämt mit meinem Herrn gesprochen, mit solcher Herablassung und Geringschätzung – kurz, so wie er normalerweise mit mir sprach. Viele Male war ich Zeuge von Ausbrüchen gewesen, deren Auslöser die geringfügigste Kränkung, der belangloseste ungefügige Blick war und die es in ihrer

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