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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Mund, um zu sagen, ich weiß. Ich habe Sie gesehen. Aber er hob den Finger, um mich davon abzuhalten.
    »Ich brachte es nicht fertig. Es wäre klug gewesen, es zu tun, aber ich brachte es nicht fertig.«
    Er sah weg; er wollte mich nicht ansehen.
    »Aber ich war sehr müde. Ich hatte … Wie lange hatte ich nicht geschlafen? Ich weiß es nicht. Ich hatte Angst, ich würde einschlafen und du könntest … dich fortstehlen. Also band ich das andere Ende des Seils an meinem Arm fest. Ich band dich an mich, Will Henry. Vorsichtshalber; es schien eine vernünftige Maßnahme zu sein.«
    Er ließ die langen Finger spielen, rollte sie zur Faust zusammen, entrollte sie. Faust. Offene Hand. Faust. Offene Hand.
    »Doch das war es nicht. Es war das absolut Schlimmste, was ich hätte tun können. Vielleicht das Dümmste, was ich je getanhabe. Denn wenn du dich fortgestohlen hättest, dann hättest du mich mit dir in den Abgrund gezogen.«
    Faust. Offene Hand. Faust.
    »Ich mag nicht die Begabung eines Dichters für Worte haben, Will Henry, aber diese Liebe zur Ironie, die habe ich. Bis zu jener Nacht waren unsere Rollen vertauscht. Bis zu jener Nacht war nicht ich es, der gefesselt worden war und aufgrund dieser Fesseln in Gefahr schwebte, in den Abgrund gezogen zu werden.«
    Er griff zu mir hinab und wickelte mit langsamen Bewegungen den Verband an meiner verletzten Hand ab. Meine Haut kribbelte; die Luft am offen liegenden Fleisch kam mir sehr kalt vor.
    »Mach eine Faust«, sagte er.
    Ich gehorchte, obwohl meine Finger ganz steif waren; die Muskeln an meinem Handrücken schienen protestierend zu ächzen.
    »Hier.« Er reichte mir seine Teetasse vom Tisch neben dem Bett. »Nimm die Tasse. Trink.«
    Meine Hand zitterte; ein Tropfen plumpste auf den Bezug, als ich die Tasse, zitternd, an die Lippen führte.
    »Gut.«
    Er nahm die Tasse in die rechte Hand und streckte die linke aus.
    »Nimm meine Hand.«
    Ich presste meine Handfläche in seine. Ich zitterte jetzt am ganzen Körper. Dieser Mann, von dem ich instinktiv jede Nuance lesen konnte, war zu einer Geheimschrift geworden.
    Der Doktor hat gesagt, du würdest das sehen wollen.
    »Drück zu. Quetsch mir die Hand, Will Henry. Fester. So fest du kannst.«
    Er lächelte. Er schien zufrieden zu sein.
    »Da. Siehst du das?« Er hielt meine Hand fest. »Ein Teil davon ist weg, aber es ist immer noch deine Hand.«
    Der Monstrumologe ließ mich los und stand auf, und meine Finger schmerzten von seinem Griff.
    »Schlaf weiter, Will Henry. Du brauchst deine Ruhe.«
    »Sie auch, Sir.«
    »Es ist nicht deine Aufgabe, dir um mich Sorgen zu machen.«
    Er schritt zur Tür, in den Lichtstreifen, und sein Schatten dehnte sich über den Boden aus und kletterte die Wand hoch. Ich legte mich zurück und schloss die Augen, zwei Atemzüge, drei, vier, und öffnete sie dann langsam wieder, aber nicht sehr viel, gerade genug, um zu linsen.
    Er hatte sich nicht von der Tür wegbewegt. Er hatte mich nicht verlassen. Noch nicht.
    Meine Hand pochte; sein Griff war stark gewesen. Ich verspürte ein unerträgliches Jucken, wo mein Zeigefinger hätte sein sollen. Ich krümmte den Daumen ins Leere, um mich zu kratzen.



Dreizehn
    »Der Raum zwischen uns«

    Warthrop hatte die Überfahrt für den nächsten Morgen auf der SS City of New York gebucht, dem schnellsten Schiff der Inman-Linie. Als Erste-Klasse-Passagiere durften wir damit rechnen, die anstrengendste aller Überfahrten ertragen zu müssen – bestehend aus einer eigenen Suite, die ein Schlafzimmer und ein getrenntes Wohnzimmer umfasste, ausgeschmückt mit den protzigsten viktorianischen Ausschweifungen, mit fließend warmem und kaltem Wasser und elektrischer Beleuchtung; gezwungen zu sein, jeden Abend die Abendmahlzeiten an schäbig mit frischem weißem Leinen drapierten und mit von frischen Blumen strotzenden Kristallvasen dekorierten Tischen einzunehmen, das Ganze unter der großen Glaskuppel des Erste-Klasse-Speisesaals; stundenlang in der nussbaumvertäfelten Bibliothek mit ihren achthundert Bänden festzusitzen; oder unablässig belästigt zu werden von besessen beflissenem Personal und Besatzung, in weißen Jacken und dem Doktor zufolge immer am Ellbogen des Passagiers, stets voller Eifer, die profansten Dienste zu verrichten.
    »Überleg dir das mal, Will Henry«, hatte er in unseren Zimmern im Plaza gesagt, bevor er mir zum ersten Mal Gute Nacht gewünscht hatte, bevor ich vom Verschlossenen Raum und der Schachtel geträumt hatte, bevor

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