Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes
es.
»Ich werde jetzt gehen«, meinte er sanft. »Aber zum Mittagessen erwarte ich dich unten. Ich werde François anweisen, etwas ganz Besonderes für dich zu zaubern, très magnifique !«
Von Helrung eilte aus dem Zimmer. Ich ließ meine Reisetasche auf den Boden fallen, legte mich mit dem Gesicht nach unten aufs Bett und wollte sterben.
* * *
Meine Erschütterung brauchte nicht lange, um der Scham Platz zu machen (Arkwright ist jung und sehr stark und ziemlich klug) , und diese nicht, um der Verwirrung zu weichen (Unterschätze ihn nicht, von Helrung. Ich würde ein Dutzend Pierre Lebroques für einen William James Henry eintauschen) und sich dann zu einem weiß glühenden Zornesscheit zu verhärten. Sich derart wegzuschleichen ohne ein Wort der Erklärung, nicht einmal Lebewohl zu sagen – liebevoll oder sonst wie! Der tapferste Mann, den ich je gekannt hatte, ein Feigling! Wie konnte er es wagen, nach allem, was wir gemeinsam durchgemacht hatten, nachdem er mir mehr als einmal das Leben gerettet hatte. Du bist das Einzige, das mich noch Mensch bleiben lässt. Ja, ich vermute, das bin ich, Dr. Warthrop, bis Sie jemanden finden, der Sie an meiner Stelle Mensch bleiben lässt. Es machte mich sprachlos; es erschütterte mich bis in die Grundfesten meines Seins. Es spielte keine Rolle, dass er versprochen hatte, zurückzukommen, um mich zu holen. Er hatte mich verlassen; das war es, was eine Rolle spielte.
Zu viel Zeit war vergangen. Ich war zu lange bei ihm gewesen. Zwei Jahre lang hatte er mich an sich gefesselt, ein Staubkorn, gefangen in seiner Jupiterschwerkraft. Ich wusste nicht einmal, wie die Welt ohne den Blick durch die warthropschen Brillengläser aussah. Jetzt waren sie fort, und ich war blind.
»Wir werden ja sehen, wie es Mr Arkwright gefällt!«, sagte ich mir mit bitterer Befriedigung. »›Machen Sie fix, Mr Arkwright! Machen Sie fix!‹ Mal sehen, wie es ihm gefällt, ausgelacht und ausgescholten und verspottet und wie ein Kuli herumkommandiert zu werden! Leg los, Mr Arkwright, und viel Vergnügen!«
Ich weigerte mich zu essen. Ich konnte nicht schlafen. Sämtliche Bemühungen von Helrungs, mich aus dem Zimmer zu locken, scheiterten. Ich saß im Sessel am Kamin und schmollte wie Achill in seinem Zelt, während der Krieg des alltäglichen Lebens ohne mich weitertobte. Am Abend des dritten Tages kam von Helrung mit einem Tablett heißer Schokolade und Gebäck und einem Schachspiel hereingeschlurft.
»Wir werden eine nette Partie Schach spielen, ja ? Na, erzähl mir nicht, Pellinore hat versäumt, es dir beizubringen! Ich kenne ihn besser.«
Er hatte es mir beigebracht. Schach war eine der liebsten Zerstreuungen des Monstrumologen. Und wie viele, die das Spiel hervorragend beherrschten, schien er es nie müde zu werden, seinen Gegner bis aufs Äußerste zu demütigen – das heißt mich. Im ersten Jahr unseres Zusammenlebens verschwendete er mehr als nur ein paar Stunden mit dem Versuch, mich in den feineren Aspekten von Strategie, Angriff, Gegenangriff und Verteidigung zu unterweisen. Ich schlug ihn nie, nicht einmal. Er hätte Großmütigkeit über Unbarmherzigkeit walten und mich ein oder zwei Partien gewinnen lassen können, um mein Selbstvertrauen aufzubauen, aber der Doktor hatte nie viel Interesse daran, irgendetwas anderes in mir aufzubauen als einen starken Magen. Außerdem, einen elfjährigen Jungen in sechs Zügen zu vernichten – in einem Spiel, das er länger gespielt hatte als der Junge lebte –, hob seine Stimmung wie ein feiner Wein beim Abendessen.
»Mir ist nicht nach Spielen.«
Er war schon dabei, das Brett aufzubauen. Es war eine Garnitur aus Jade mit in Drachenform geschnitzten Figuren. Der Drachenkönig und die Drachendame trugen Kronen; die Drachenläufer umklammerten Hirtenstäbe mit ihren Krallen.
»Oh, nein, nein! Wir werden spielen. Ich werde es dir beibringen, so wie ich es Pellinore beigebracht habe. Besser, damit du ihn besiegen kannst, wenn er zurückkommt.« Er summte fröhlich vor sich hin.
Ich schleuderte das Brett an die Wand. Von Helrung stieß einen leisen Schrei aus und wimmerte, als er den Drachenkönig aufhob, der seine Krone verloren hatte; sie war abgebrochen, als die Figur auf den Boden gefallen war.
»Dr. von Helrung … Es tut mir leid …«
»Nein, nein«, sagte er. »Das macht nichts. Ein Geschenk meiner lieben Frau, möge sie ungestört ruhen.« Er schniefte. Nicht wissend, wie ich ihn trösten sollte, und verärgert über mein
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