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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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hat gesagt, sie waren nicht besonders gut.«
    »Ach, das ist doch Unsinn!« Sie lachte wieder. »Wenn man jedes schlechte Gedicht verbrennen würde, das geschrieben wurde, würde der Qualm eine Woche lang die Sonne verdunkeln!«
    Sie beobachtete, wie ich meinen Hut aus dem obersten Fach des Wandschranks zog. Beobachtete, wie ich ihn in meinen Händen drehte. Beobachtete mein Gesicht, als ich mit dem Finger über die Näherei auf dem Innenband strich: W.J.H.
    »Was ist das?«, fragte sie.
    »Das ist mein Hut.«
    »Na, dass es ein Hut ist, sehe ich auch! Er sieht zu klein aus für dich.«
    »Nein«, sagte ich. Ich stopfte den Hut in die Tasche. Er war sein erstes – nein, sein einziges  – Geschenk an mich gewesen. Ich war entschlossen, ihn nie zu verlegen.
    »Er passt«, sagte ich.
    * * *
    Ich hatte den Traum in jener Nacht – meiner letzten Nacht in New York und der letzten Nacht, in der ich ihn haben sollte.
    Der Verschlossene Raum. Adolphus, der an seinen Schlüsseln herumfummelte.
    Der Doktor hat gesagt, du würdest das sehen wollen.
    Der Karton auf dem Tisch und der Deckel, der nicht abgehen will.
    Ich kriege ihn nicht auf.
    Der Karton zittert. Er äfft meinen Herzschlag nach. Was ist in dem Karton?
    Dummer Junge! Du weißt, was es ist. Du hast schon immer gewusst, was in dem Karton ist. Es ist nicht das, was darin ist, wovon er wollte, dass du es siehst: Es ist der Karton !
    Ich nehme ihn in die Hand. Der Karton zittert in meiner Hand. Er schlägt im Takt mit meinem Herzen. Ich hatte mich geirrt; es war nicht der des Doktors: Er gehörte mir.
    * * *
    Am nächsten Morgen war ich nicht pünktlich um sechs zum Frühstück unten. Mrs Bates kam nach oben, um nach mir zu sehen; ich hörte, wie sie die Treppe hochhastete, und dann wurde die Schlafzimmertür aufgerissen, und sie stand schnaufend im Eingang. Ich bemerkte, dass sie einen Briefumschlag in der Hand hielt.
    »William! O Gott sei Dank! Ich dachte, du hättest uns schon verlassen!«
    »Ich würde doch nicht gehen, ohne mich zu verabschieden, Mrs Bates. Das wäre nicht korrekt.«
    Sie strahlte. »Nein! Nein, das wäre es ganz sicher nicht. Und hier bist du nun also, und da ist deine Tasche mit all deinen Sachen, und ich vermute einmal, dass du es dir nicht anders überlegt hast?«
    Ich teilte ihr mit, dass ich das nicht hatte. Eine peinliche Stille entstand zwischen uns.
    »Nun denn«, sagte ich schließlich und räusperte mich. »Ich sollte besser gehen.«
    »Du musst Mr Bates noch Auf Wiedersehen sagen«, wies sie mich an. »Und ihm für alles danken, was er getan hat.«
    »Jawohl, gnädige Frau.«
    »Und, vergib mir, William, aber wirklich, du musst glauben, ich sei verrückt geworden, wenn du denkst, ich lasse dich mit dieser Frisur aus dem Haus gehen!«
    Sie fand den Kamm neben dem Waschtisch und fuhr mir damit mehrere Male durch die Haare. Das Ergebnis schien sie nicht zufriedenzustellen.
    »Hast du einen Hut?«
    »Ja, gnädige Frau.«
    Als ich in meiner Tasche nach dem Hut mit meinen Initialen kramte, hörte ich einen Laut, der sich wie der leise Schrei eines verwundeten Tiers anhörte, und blickte zu ihr hinüber.
    »William, ich muss mich entschuldigen!«, sagte sie. »Ich habe kein Bon-Voyage-Geschenk für dich, aber zu meiner Verteidigung möchte ich sagen, dass ich praktisch keine Kenntnis von deiner Abreise hatte. Man hat mich damit im letzten Moment buchstäblich überrascht .«
    »Sie müssen mir nichts schenken, Mrs Bates.«
    »Es ist … üblich, William.«
    Sie setzte sich aufs Bett. Ich blieb neben meiner kleinen Tasche stehen und drehte den Hut in den Händen. Sie tippte mit dem Umschlag auf ihren Schoß.
    »Es sei denn, du würdest das hier als Geschenk betrachten«, sagte sie und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Umschlag.
    »Was ist das?«
    »Es ist eine schriftliche Zusage der Privatschule Exeter, eine der angesehensten Vorbereitungsschulen des Landes, William. Mr Bates ist ein Ehemaliger; er hat es für dich arrangiert.«
    »Was arrangiert?«
    »Deine Aufnahme! Fürs Herbsthalbjahr!«
    Ich schüttelte den Kopf; ich verstand es nicht. Der Hut drehte sich; der Umschlag tippte weiterhin auf ihr Knie.
    »Bleib bei uns!«, sagte sie. Und dann, als würde sie sich selbst verbessern: »Bleib bei mir. Ich weiß, dass es vielleicht noch zu früh ist, dich ›Sohn‹ zu nennen, aber wenn du bleibst, verspreche ich dir, dass ich dich wie meinen Sohn lieben werde. Ich werde dich beschützen; ich werde für dich sorgen; ich werde

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