Der Montagsmann: Roman (German Edition)
sie in den Arm nehmen oder ihre Hand tätscheln oder ähnlich plump reagieren. Er konnte nur weiter hier hocken und an ihr vorbeistarren, weil er es nicht schaffte, ihr in die Augen zu blicken. Und noch weniger schaffte er es, ihr die Wahrheit zu sagen, während sie hier im Bett saß und so erbarmungswürdig verloren aussah wie ein kleines Mädchen, das jemand im Wald ausgesetzt hatte.
Er kam sich vor wie ein Monster, und je länger er hier neben ihrem Bett saß, umso schlimmer wurde es.
Unruhig rutschte er auf dem Besucherstuhl herum und fragte sich, was er als Nächstes sagen sollte. Ihm fiel nichts ein.
»Ich würde ja zu meinen Eltern gehen«, sagte sie leise. »Oder zu meiner Oma.«
»Deine Oma? Hast du eine?«
»Jeder Mensch hat zufällig zwei davon«, sagte sie spitz.
»Lebt sie noch?«
»Wenn ich das wüsste, wäre ich jetzt bei ihr!«, fauchte sie ihn an. »Oder bei meinem Bruder oder meiner Schwester!«
»Du hast einen Bruder und eine Schwester?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Woher soll ich das wissen?«, gab sie verärgert zurück. Sie hielt inne. »Habe ich?«
»Keine Ahnung.«
Sie starrte ihn an. »Wir sind verlobt, und du weißt nicht, ob ich Geschwister habe?«
Er überlegte wie rasend, welche stressfreie Wendung er diesem Gespräch geben konnte.
»Du hast mir so gut wie nichts über dich erzählt, als wir uns kennen lernten«, improvisierte er schließlich hastig. »Mit privaten Informationen warst du sehr zurückhaltend. Ich weiß praktisch überhaupt nichts von dir.«
»Du meinst, ich wollte nicht über mein Leben sprechen, als wir uns begegnet sind?«
Er nickte und ließ langsam den angehaltenen Atem entweichen.
Sie erschauerte. »Ich muss eine schreckliche Vergangenheit haben!«
»Tja, das soll’s geben«, meinte er lahm.
»Und du hast dich trotzdem sofort in mich verliebt, obwohl du gar nichts von mir wusstest?«
Er zuckte zusammen. »Na ja … nicht sofort.«
Sie wurde rot. »Ich verstehe.« Sie holte Luft. »Unsere Trennung – war sie endgültig? Oder wollten wir nur eine Auszeit?«
Die Tür ging auf, und der Chefarzt segelte wie ein Flaggschiff ins Zimmer, mit spitzem Finger in seinem rechten Auge herumpolkend und umgeben von einem Geschwader weiß bekittelter Assistenzärzte und Schwestern.
»Ich geh dann mal wieder!«, sagte Fabio, während er Haken schlagend die Weißkittel umrundete, wie ein Hase auf der Flucht.
»Warten Sie draußen, Sie können Ihre Verlobte nachher gleich mitnehmen!«, rief ihm der Chefarzt nach.
Fabio warf die Tür hinter sich zu und tat so, als hätte er ihn nicht mehr gehört. Jetzt konnte er endlich verschwinden.
D er junge Oberarzt hieß Tobias Mozart. Er lächelte sie schüchtern an, als er das Zimmer betrat. Vorhin bei der Visite war er auch schon dabei gewesen, und Isabel hatte längst bemerkt, dass er mehr in ihr sah als nur einen interessanten Fall. Er nutzte jede Gelegenheit, außer der Reihe zu ihr ins Zimmer zu kommen und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Er hatte sie auf ihre Bitte hin mit Fachliteratur über Amnesie versorgt und war jederzeit für sie ansprechbar. Gleich in der ersten Woche hatte er ihr seine private Telefonnummer gegeben.
»Falls Sie mal eine dringende Frage haben. Oder sich nicht so gut fühlen.«
Bis jetzt hatte sie ihn nicht angerufen, obwohl ihr ganzes Leben eine einzige dringende Frage war und sie genau deswegen meilenweit davon entfernt war, sich gut zu fühlen.
Als Isabel seinen Vornamen noch nicht kannte, hatte sie ihn gefragt, ob er Wolfgang hieß. Es war eine der ersten Fragen gewesen, die sie nach ihrem Aufwachen hier im Krankenhaus gestellt hatte. Die Frage war spontan gekommen, weil sie das Schildchen an seiner Brusttasche gesehen hatte – Dr. Mozart.
Er hatte grinsend den Kopf geschüttelt, und sie war darüber so erleichtert gewesen, dass ihr die Tränen in die Augen gestiegen waren. Nicht, weil sein Vorname Tobias war, wie er ihr später erzählte, sondern weil sie sich daran erinnern konnte, dass es einen berühmten Komponisten gegeben hatte, der Wolfgang Amadeus Mozart hieß. Wenn sie die Augen schloss und sich konzentrierte, konnte sie sogar im Geiste die Musik hören, die von ihm stammte. Die Zauberflöte. Cosi fan tutte. Den Figaro. Und schließlich seine Klavier- und Violinkonzerte. Sie wusste, dass sie Mozart mochte, und wenn sie an ihn dachte, bewegten sich ihre Finger. Dabei war ihr klar geworden, dass sie Klavier spielen konnte.
Auf diese Weise konnte sie sich an vieles
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