Der Montagsmann: Roman (German Edition)
müssen dringend vermieden werden. Eine Trennung wäre beispielsweise ein extremer Stressor.«
Fabio schluckte und suchte krampfhaft nach Argumenten, warum die Trennung eigentlich keine war, doch ihm fielen keine passenden Worte ein. Was hätte er auch sagen sollen? Übrigens, ich bin überhaupt nicht mit ihr verlobt, und ich war es auch nie. Dass ich das bei der Einlieferung nicht richtig gestellt habe, liegt daran, dass mein Cousin rasend eifersüchtig ist und immer eine Achtunddreißiger in der Jacke hat. Schussbereit, Sie verstehen?
Ja, logisch. Das klang für jeden unvoreingenommenen Nervenarzt absolut einleuchtend.
»Ich nehme an, Sie sind bereits zu derselben Annahme gekommen«, meinte der Arzt. Er bekam eine Hautfalte auf seiner Stirn zu fassen und versuchte, sie in den Haaransatz zu schieben. »Die Patientin sagte, sie hätten noch keine anderen Angehörigen informiert, die sie hätten abholen können. Folglich gehen wir davon aus, dass eine Trennung derzeit nicht mehr zur Debatte steht.«
Er ließ sein Gesicht in Ruhe und schaute auf seine Armbanduhr. »Gleich ist Visite. Wenn Sie vorher noch mit ihr sprechen wollen …«
Bitte nicht, dachte Fabio, während er hinter dem Arzt hertrottete, der ihm fürsorglich die Tür zu ihrem Zimmer öffnete.
Der Neurologe wandte sich zu ihm um und schob sich den kleinen Finger bis zum zweiten Glied ins Ohr. »Nicht vergessen. Keine Stressoren.« Ins Zimmer gewandt, fügte er strahlend hinzu: »Lieber Besuch ist gekommen!« Er fasste Fabio beim Arm und schob ihn vorwärts.
Isabel saß aufrecht im Bett und schaute von einer Illustrierten auf, als er das Zimmer betrat.
»Na so was«, sagte sie erfreut. »Ein bekanntes Gesicht!«
Fabio hätte sich am liebsten entmaterialisiert, als er das glückliche Leuchten in ihren Augen sah. Auf der Stelle fühlte er sich wie das größte Schwein im Universum. Er versuchte, diese Selbsteinschätzung zu verbessern, indem er ihr Lächeln erwiderte, aber er merkte, wie künstlich es war.
Ihr schien nichts aufzufallen. »Endlich bist du da!«, sagte sie aufgeregt. »Ich habe schon die ganze Zeit gewartet, dass du wieder herkommst!«
»Ach«, meinte er überrumpelt.
»Ja, um mir Nachthemden zu bringen. Eine von den Schwestern hat mir dann welche besorgt, ich nehme an, du hattest keine Zeit oder hast es vergessen.«
»Äh … ich fürchte, ja«, sagte er peinlich berührt.
»Ich habe angerufen, aber es ging immer nur ein Typ namens Harry dran. Er sagte, du hättest wahnsinnig viel zu tun, weil du ein altes Landhaus sanieren und ein Restaurant eröffnen musst. Stimmt das?«
»Ja«, sagte Fabio, erleichtert, weil er nicht lügen musste. »Ja, alt ist es wirklich! Aber die Arbeiten machen Fortschritte!«
»Habe ich da mit dir zusammen gelebt?«
»Äh … Also, in Wahrheit ist es so …« Er verstummte und überlegte, was wohl passierte, wenn er jetzt einfach mit allen Fakten herausrückte. Ob er damit die Chance, dass sie ihr Gedächtnis zurückgewann, ruinierte? Darüber hatte der Arzt sich nicht ausgelassen. Doch er hatte unmissverständlich klargestellt, dass man sie auf keinen Fall aufregen durfte.
Erschrocken sah Fabio, wie sich ihre Miene verfinsterte.
»Ich war schon ausgezogen, stimmt’s?«, stieß sie hervor. »Dieser Harry – er hat es gesagt.«
»Was hat er gesagt?«
»Ich habe ihn gefragt, ob ich bei dir wohne, und da sagte er: nicht wirklich .«
»Äh – tatsächlich?«
»Ist es so? Ich meine, hatten wir die Trennung schon hinter uns, und war ich schon ausgezogen?«
Fabio wand sich und starrte auf das Nachbarbett. Es war leer; die alte Frau von neulich war entweder verlegt oder entlassen worden. »Na ja … sozusagen.«
»Wohin?«
»Keine Ahnung.«
Bestürzt sah er, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.
»Dann bin ich nirgends mehr zu Hause«, flüsterte sie.
»Nicht doch!«, rief er. »Du bist … äh, du bist natürlich jederzeit herzlich willkommen …« Er brach ab, durchdrungen von dem heftigen Bedürfnis, sich selbst in den Hintern zu treten. Was, zum Teufel, tat er hier eigentlich? Er merkte, wie er von widerstreitenden Gefühlen durchflutet wurde. Er wusste nicht, welches Bedürfnis stärker war: einfach rasch zu verschwinden oder sie zu trösten. Nach kurzem Überlegen entschied er sich für das Verschwinden, aber das trug nicht dazu bei, dass er sich besser fühlte. Hinzu kam, dass er es ohnehin nicht fertig brachte. Er konnte nicht einfach aufstehen und gehen, aber ebenso wenig konnte er
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