Der Montagsmann: Roman (German Edition)
erinnern, einfach, indem sie es auf sich einströmen ließ. Fast alles kam wieder.
Im Krankenhaus gab es ein Zentrum für Physiotherapie, und dort war auch ein kleines Schwimmbad, wo sie zuerst zögernd, dann immer sicherer einen Schwimmzug nach dem anderen getan hatte, bis sie schließlich zügig kraulend durchs Becken geschossen war. Ihre Physiotherapeutin hatte begeistert und ungläubig gelacht und gefragt, ob sie in einem früheren Leben ein Delphin gewesen wäre.
Nach dieser flapsigen Bemerkung hätte Isabel sich am liebsten auf den Grund des Beckens sinken lassen, um nie mehr aufzutauchen. Was nützte ihr das Wissen, schwimmen und Klavier spielen zu können, wenn sie keine Ahnung hatte, wo und bei wem sie es gelernt hatte?
Wissen über das öffentliche Leben und Prominente war leicht abzurufen. Es kam wieder, sobald sie eines der Hochglanzmagazine aufschlug, mit denen die Schwestern sie täglich versorgten, oder wenn sie durch die Fernsehprogramme zappte. Sie erinnerte sich an Filmstars und Rockmusiker ebenso wie an Politiker, und sie wusste jeweils sofort instinktiv, wen sie mochte oder nicht ausstehen konnte. Sie kannte die Filme, in denen die Schauspieler mitgewirkt hatten, und sie konnte die Lieder mitsummen, die im Radio oder in den Musikkanälen des Fernsehens gespielt wurden. Sie roch die Parfums und Deos der Schwestern und wusste jedes Mal, welche Duftnote sie mochte und welche sie verabscheute. Sie spürte, dass ihre eigene Duftnote nicht dabei war.
Das Kleid, in dem sie eingeliefert worden war, stammte von einem japanischen Designer. Die eingenähten Schildchen hatten eine englische Aufschrift, folglich hatte sie es vermutlich im Ausland gekauft. Ihre Schuhe, das hatte sie sofort erkannt, waren von Manolo Blahnik. Er war ihr liebster Schuhdesigner. Die Unterwäsche war von Victoria’s Secret, dem berühmten amerikanischen Dessoushersteller.
Überhaupt schien sie nicht vergessen zu haben, welche persönlichen Vorlieben sie hatte. Sie mochte kein Schweinefleisch, liebte aber Fisch, und trotz ihrer Amnesie war ihr binnen kürzester Zeit klar geworden, dass die Krankenhausküche so erbärmlich schlecht war, dass nur der nagende Hunger sie dazu brachte, hin und wieder wenigstens einen Teil der Gerichte zu essen.
In den Zeitschriften las sie Artikel über teuren Wein, Haute Cuisine und prominente Köche, und sie war kaum überrascht, als sie erkannte, dass das gesamte Vokabular ihr vertraut war. Ihr Kleid war ebenso teuer gewesen wie ihre Schuhe, Wohlstand konnte ihr nicht fremd sein. Schließlich war da noch der Ring, ein wahres Prachtexemplar in Sachen Größe und Reinheit.
Immerhin waren ihr durch ihre Kleidung und den Ring gleich mehrere wichtige Informationen über ihr früheres Leben zuteil geworden. Sie hatte Geschmack, und sie hatte Geld. Ganz so übel konnte ihre Vergangenheit demnach doch nicht gewesen sein.
Aber warum hatte sie dann nicht mit diesem Italiener darüber gesprochen?
Es fiel ihr immer noch schwer, ihn sich als ihren Verlobten vorzustellen, was auch der Hauptgrund dafür war, warum sie eher zögerlich darangegangen war, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Aber was war ihr übrig geblieben? Wenn sie mehr über die Zeit vor dem Unfall herausfinden wollte, war er der einzige kompetente Ansprechpartner, daran gab es nichts zu deuteln. Die Oberschwester hatte sich bei der Klinikverwaltung seine Adresse geben lassen und ihr die Telefonnummer besorgt. Dass er nicht erreichbar gewesen war, hatte sie einerseits mit Erleichterung, andererseits aber auch mit Unruhe erfüllt. Sie wusste genau, dass sie nicht ewig hier im Krankenhaus bleiben konnte, und je eher sie zu diesem alten Landhaus zurückkehrte, umso besser standen ihre Chancen, sich vielleicht an ihr Leben zu erinnern, denn das war der Ort, an dem ihre Vergangenheit aufgehört hatte.
»Trübe Gedanken?«, fragte Doktor Mozart.
»Was sonst?«, gab sie zurück. »Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie eines Tages aufwachen und keine Ahnung haben, wer Sie sind? Wenn Sie sich selbst nicht mal im Spiegel wiedererkennen?«
Er hob die Schultern. »Ich würde zumindest sagen: He, was ist das da im Spiegel für eine super aussehende junge Frau!«
Sie musste lachen. »Ja, ich gebe zu, wenigstens damit habe ich nach Lage der Dinge Glück gehabt. Ich hätte ja auch irgendwo zwischen siebzig und achtzig und ohne eigene Zähne aufwachen können, das wäre ganz schön gemein gewesen.«
Sie wusste, dass sie hübsch war. Auf eine unerklärliche
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