Der Montagsmann: Roman (German Edition)
holzgetäfelten Saal frei, in dem einige Handwerker mit Schreinerarbeiten beschäftigt waren. Ein Dutzend Schritte voraus führte eine breite Treppe mit geschwungenen Geländern nach oben. Auf den Stufen hockten drei weitere Männer in Overalls und bearbeiteten das Geländer. Der Radau, den sie mit ihren Maschinen veranstalteten, war ohrenbetäubend. Es roch durchdringend nach frisch gesägtem Holz und Politur.
Rechts und links neben dem Eingangstor sowie an der gegenüberliegenden Wand zu beiden Seiten der Treppe waren hohe, spitzbogige Fenster in das Mauerwerk eingelassen, die mit bleigefassten Butzenscheiben im mittelalterlichen Stil ebenfalls erneuert worden waren. Auf einer Leiter, die vor einem der Fenster aufgeklappt war, stand ein Mann und fugte Ritzen im Mauerwerk unterhalb des Spitzbogens mit Spachtelmasse aus.
»Wo ist mein Cousin Fabio, dieser Schweinehund?«, brüllte Giulio niemanden im Besonderen an.
Der Handwerker auf der Leiter blickte über die Schulter zu ihnen herunter. »Sind alle hinten!«
Er deutete mit dem Spachtel in einen Gang, der in einen anderen Trakt des Gebäudes führte, aus dem Gitarrenmusik zu hören war. Giulio marschierte ohne zu zögern los, und Raphaela blieb an seiner Seite und kraulte ab und zu mit spitzen Fingern sein Ohr, wobei er jedes Mal erschauerte – ob vor Wohlgefühl oder vor Schreck, war allerdings schwer zu sagen.
Durch den hohen, gewölbten Gang gelangten sie in den Wirtschaftstrakt des Gebäudes, und jetzt war auch zu erkennen, dass das Ganze mal ein Restaurantbetrieb werden sollte. Vor ihnen tat sich der Blick auf eine riesige, vor Edelstahl nur so blitzende Küche auf, in der eine passende Mannschaft sicherlich ohne weiteres für ein paar hundert Gäste kochen konnte.
Die Musik hörte auf, und ein junger Mann kam aus einem Nebenraum in die Küche. Er war mittelgroß und so dünn wie seine elektrische Gitarre, die er in der Hand hielt. Isabel schätzte ihn auf Mitte bis Ende zwanzig. Er hatte zerzaustes dunkelblondes Haar und ein Kindergesicht mit Lachgrübchen, die allerdings sofort verschwanden, als er der Besucher ansichtig wurde.
»Ach du Scheiße«, sagte er. Es klang alles andere als kindlich.
»Hallo, Harry«, sagte Raphaela.
»Hallo, Raphaela.«
»Willst du mich nicht auch begrüßen?«, fragte Giulio drohend.
»Hallo, Signor Caprini. Come sta ?«
»Tu nicht so, als könntest du Italienisch, du verkorkster Minnesänger. Wo ist mein Cousin?«
»Er ist nicht da.«
»Ich habe dir eine Frage gestellt, oder nicht? Eine sehr einfache Frage.«
Es klang so aggressiv, dass Isabel unwillkürlich zusammenfuhr. Meine Güte, dachte sie besorgt, was ist das eigentlich für ein Typ? Er benahm sich, als würde er schon zum Frühstück eine Vendetta anfangen!
»Er ist in der Stadt, Zutaten fürs Essen kaufen.«
»Das kann Stunden dauern«, sagte Raphaela. Mit kenntnisreicher Miene schaute sie sich um und begutachtete die blitzenden Anrichten, die vielen kupfernen Kasserollen und Pfannen, die Hightechherde mit den großen Abzugshauben, die Kühlschränke und die Borde mit den Gewürzbehältern.
Ihr entwich ein schwacher Seufzer der Bewunderung. »Er hat es drauf«, sagte sie schlicht. »Immer noch und immer wieder!«
Giulio plusterte sich erbost auf. »Wieso sagst du das jetzt?«
Raphaela schaute ihn streng an. »Meine Güte, Schatz, jetzt mach aber mal halblang! Haben wir einen Hochzeitstermin oder nicht?« Sie blickte sich prüfend um. »Ich könnte mir vorstellen …«
»Dass er unser Hochzeitsessen kocht? Nein, lieber nicht.« Giulio hielt inne und krauste die Stirn. »Obwohl … Der Gedanke hat was.« Er schüttelte den Kopf. »Trotzdem. Ich hasse ihn. Mir wäre lieber, er wäre tot. Dann müsste ich mich nie mehr über ihn ärgern.«
»Schau«, sagte Raphaela. »Jetzt bin ich extra mitgekommen, weil du wolltest, dass ich seine neue Freundin kennen lerne. Ich habe sie kennen gelernt …« – sie warf Isabel einen gelangweilten Blick zu – »… und ich bin nicht eifersüchtig. Sie kann ihn haben. Ich will nur dich.«
Giulio grinste sie an. »Beweis es mir.«
Raphaela kicherte. »Du Schlimmer!« Sie wandte sich an Harry. »Wir ziehen dann mal wieder los. Das Wichtigste habe ich ja jetzt gesehen. Grüß ihn schön von mir und sag ihm, er soll das arme kleine Ding gut behandeln, sonst geht sie noch ein wie eine Primel, so ganz ohne Gedächtnis. Ach, was mich noch interessiert: Wie haben die beiden sich eigentlich kennen gelernt?«
»Sie war …
Weitere Kostenlose Bücher