Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
Blick zu und registriert die Entfernung zwischen ihnen. Diese Grenze, denkt er, zwischen mir und allen anderen Menschen. Das Gefühl, in einem anderen Land mit einer anderen Sprache zu sein, das Gefühl, unter ganz anderen Bedingungen zu leben als alle anderen. Das ist schwer.
Er geht in den Laden und zieht die Zeitungen aus dem Gestell, kauft drei Stück, bezahlt. Klemmt sie sich unter den Arm und geht zurück. Und während er noch unterwegs ist, im ruhigen Tempo die Straße entlang, passiert etwas mit seinem einen Bein. Das scheint sich zu verkrampfen, danach gibt es unter ihm nach, das linke Knie verliert alle Kraft, und er kippt hilflos vornüber und fällt zu Boden. Er trifft mit dem Kinn zuerst auf, das schrammt über den Asphalt, seine Haut brennt und schmerzt. Die Zeitungen rutschen in alle Richtungen davon. Eine Weile bleibt er liegen und zappelt, er schaut sich verdutzt um, ob er über etwas gestolpert ist, sieht aber nichts. Er will aufstehen, ist aber unsicher. Weiß nicht, ob sein Knie ihn trägt. Er ist vollkommen verwirrt. Er sieht Leute über die Straße kommen und kommt sich schrecklich dumm vor. Vielleicht halten die ihn für betrunken. Endlich kommt er auf die Beine. Er legt sein Gewicht auf das linke Knie, vorsichtig, er weiß nicht, ob das geht. Er bückt sich nach den Zeitungen. Ein Mann kommt an und will ihm helfen. Charlo wischt sich die Ärmel ab und winkt ab. Er sammelt die Zeitungen auf, die sind naß geworden. Sein Kinn brennt und schmerzt. Er schaut verwundert an sich herab, begreift nicht, was passiert ist. Sein Kniegelenk kommt ihm schwach vor, aber es trägt ihn wieder, noch. Unsicher geht er weiter. So zusammenzubrechen, wie ein alter Mann. Es war, wie vom Blitz getroffen zu werden. Ob ihm etwas fehlt? Nein, ihm fehlt nichts, seine Gesundheit war immer gut. Als Kind wurde er oft von Erkältungen gequält, und in letzter Zeit hat er oft gedacht, daß er vielleicht eine Brille braucht, denn sein Sehvermögen scheint sich zu verschlechtern, mal ist es gut, mal nicht. Aber ansonsten ist seine Gesundheit ausgezeichnet, das hat er immer für eine Selbstverständlichkeit gehalten. Er klemmt sich die Zeitungen unter den Arm. Sein Sturz macht ihm zu schaffen, es ist eine aufkeimende Angst, er schiebt sie beiseite, macht, daß er ins Haus kommt, setzt sich in einen Sessel. Lange bleibt er so sitzen und denkt nach, sucht nach einer Erklärung. Vielleicht ist er auf einem Eisbuckel ausgerutscht. Aber draußen war es zu mild, es liegt überall nur noch Matsch. Kann es eine Bananenschale gewesen sein? Nein, es hat unter ihm nachgegeben, sein Knie hat ganz ohne Vorwarnung die Kraft verloren. Er verdrängt diese Episode. Es muß eine Grenze geben, wieviel Zeit er ihr opfert. Als ob nicht alle ab und zu hinfallen, sie stolpern, sie rutschen aus, sie gehen unachtsam, das ist doch kein Drama. Aber sein Kinn tut verdammt weh. Er schlägt die erste Zeitung auf. Auf den ersten Blick kann er nichts über die Sache in Hamsund sehen. Er wünscht sich die große Stille, den Tag, an dem nicht mehr darüber gesprochen wird und alle es vergessen haben. Er öffnet die zweite Zeitung. Blättert langsam hindurch, sehr viel Sport, das interessiert ihn nicht. Plötzlich fällt sein Blick auf ein Bild. Er erkennt den Mann sofort, er leitet die Untersuchungen im Hamsundfall. Charlo liest, was unter dem Bild steht.
»In Verbindung mit dem Mord an Harriet Krohn in Hamsund am 7. November möchte die Polizei Kontakt zu einem Mann aufnehmen, der in einen Autounfall verwickelt war. Der Unfall geschah um halb elf Uhr abends, nur wenige Minuten vom Haus der Ermordeten entfernt. Hauptkommissar Sejer teilt unserer Zeitung mit, daß der Mann aus unbekannten Gründen keine Schadensmeldung an die Versicherung unterschreiben wollte. Sejer betont, daß der Mann nur als Zeuge gesucht wird.«
Entsetzt läßt er die Zeitung sinken. Fährt sich über das schmerzende Kinn. Die Kollision, denkt er, die holt mich jetzt ein. Das, was er am meisten gefürchtet hat, passiert. Der Toyota, der Wutanfall, das wissen sie jetzt. Sie suchen sein Auto. Vielleicht haben sie ihn schon gefunden, vielleicht suchen sie ihn und warten auf den richtigen Moment. Er sitzt da, die Hand vor dem Mund, mit weitaufgerissenen Augen. Schnell sieht er aus dem Fenster, ihn überkommt eine zunehmende Panik. Als ob sie nicht wüßten, was sie zu tun haben, um ihn zu finden, als ob sie keine Experten wären und die Details nicht sähen, natürlich hat er sie grob
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