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Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Titel: Der Mord an Harriet Krohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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kältesten Zeit ist das Zaumzeug so steif, daß sie die Riemen fast nicht biegen können. Aber Julie bleibt warm. Drei Runden in der Reithalle, dann läßt sie ihre Jacke fallen. Sie wird größer, fängt mit dem Springen an, die Hindernisse werden immer höher. Charlos Herz scheint jedesmal explodieren zu wollen, wenn sie hinüberfegt, es ist eine Mischung aus Angst und Triumph. Sechzig Zentimeter, hundert, ein Meter zwanzig. Abschied vom Pony Snowball und Wechsel auf ein großes Pferd, einen Wallach namens Mephisto. Es ist jetzt wirklich ernst, die Leidenschaft legt sich nicht. Sie füllt die Tage und die Nächte. Und immer schauen die grünen Augen seine an, beharrlich:
    »Ich will ein eigenes Pferd.«
    »Das können wir uns nicht leisten, Julie.«
    »Dann spare ich eben«, sagt sie. »Dann suche ich mir einen Job.«
    Er nickt ermutigend, findet es gut, daß sie Träume hat, er weiß, wie stark ihr Wille ist.
    »Und dann kriege ich ja vielleicht Geld zur Konfirmation. Das kann ich nehmen.«
    »Ja«, sagt er. »Wir schaffen das schon.«
    Sie packt seine Jacke, hält ihn fest.
    »Ist das ein Versprechen, Papa?«
    Er sieht sie an und nickt. »Ja, das ist ein Versprechen.«
    Es schaudert ihn bei dieser Erinnerung. Sie hat damals zwanzigtausend gespart, und er hat sie hinter ihrem Rücken verspielt. Dann taucht eine andere Erinnerung auf. Er steht mit Julie im Laden, Inga Lill hat ihn gebeten, einzukaufen. Auf dem Weg hinaus bleibt er vor einem Spielautomaten stehen, sucht in seiner Tasche und findet einen Zehner, steckt ihn in die Maschine. Julie mustert ihn skeptisch, sieht die Symbole, die sich in den Kästchen drehen, einige Münzen fallen klirrend in die Schale. Leute drehen sich um und sehen sie an, weil sie das Klimpern gehört haben.
    »Lustig, was?« fragt er und lächelt, wirft einen weiteren Zehner ein. Der Apparat legt wieder los, klappernd und klingelnd. Charlo freut sich wie ein Kind. Noch mehr Münzen fallen in die Schale.
    »Mutter findet das nicht so toll«, sagt Julie mit Skepsis in der Stimme. »Immer mußt du stehenbleiben, wenn du so einen siehst.«
    »Das ist für einen guten Zweck«, sagt er und wirft noch eine Münze ein. »Außerdem gewinne ich ja manchmal.«
    »Können wir jetzt nach Hause fahren, ich habe Hunger.«
    »Bin gleich soweit. Hab noch etwas Geld.«
    Sie seufzt resigniert, stemmt die Hände in die Hüften. Sie ist die Wunderbarste auf der Welt, aber sie kann auch ziemlich schlecht gelaunt sein. Er verspielt alle Münzen, die er gewonnen hat, zuckt mit den Schultern und folgt ihr aus dem Laden. Daran muß er jetzt denken. Daß er dem Automaten den Rücken zukehrt und geht, während er zugleich merkt, wie der ihn zurückzieht, als hätte er eine Schnur im Rücken. Er will zurück, er will dort im Licht stehen und bis in die Nacht hinein spielen, er verspürt eine bohrende Sehnsucht, einen Hunger. An der Maschine wird die Welt so klein, sie verengt sich zu einem Tunnel, es gibt nur ihn und die Münzen, die Geräusche, das Licht. Er vergißt, daß Inga Lill krank ist, und wenn das Geld klimpert, durchströmt etwas ihn wie eine Flut.
    Er hat Julie versprochen, mit ihr zum Rennen nach Øvrevoll zu gehen.
    »Europas schönste Galopprennbahn«, sagt er und schaut sie fröhlich an. Inga Lill hört mit unbewegter Miene zu.
    »Da darfst du aber nicht spielen«, sagt sie energisch und Charlo lacht laut. Er wird doch nicht spielen, sie werden den Anblick der schönen Pferde genießen und sich die Leute ansehen, mehr nicht. In der Sonne eine Limo trinken, sich amüsieren. Denn er glaubt, daß er die Kontrolle hat.
    Die Spielautomaten waren der Anfang, wie erhöhte Temperatur, die sich danach zu einem Fieber entwickelte, das ihn Tag und Nacht schüttelte. Er war glücklich, er war verzweifelt. Er ist froh darüber, daß Inga Lill das, was jetzt passiert, erspart geblieben ist, daß sie gestorben ist, als er noch ein ehrlicher Mann war. Aber war er denn jemals ehrlich? War seine Wurzel die ganze Zeit schon faul, welkt er jetzt dahin? Sind seine Knie deshalb so schwach? Und dann ist er wieder da, in Harriets Küche, er sieht ihren Rücken am Küchentisch, einige graue Haarsträhnen bei den Ohren, und er schlägt aus voller Kraft zu, schlägt, während es in seinen Ohren dröhnt. Verwirrt läuft er ans Fenster, bleibt dort stehen und starrt hinaus, hält sich am Rahmen fest. Wieder hat er dieses Gefühl von Schwäche. Es hält nur einige Sekunden an, dann ist er wieder stark. Er reißt sich los und

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