Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
ablehnend. Sie stellt die Platte auf den Tisch und gießt das Kartoffelwasser ab.
»Es gibt so viele Unfälle«, murmelt sie, leise, damit Julie es nicht hört.
»Du läßt sie mit dem Rad auf der Straße fahren«, sagt er. »Das ist viel schlimmer.«
»Aber dann trägt sie einen Helm«, sagt Inga Lill.
»Das tut sie beim Reiten auch«, sagt er schnell. Sie sehen einander an. Julies Blick klebt an ihrer Mutter.
»Ich werde reiten«, sagt sie energisch und starrt auf den Tisch, hält die Gabel in der Hand und will essen.
»Wasch dir die Hände«, sagt Charlo. »Du warst im Stall. Komm, wir gehen ins Badezimmer.« Er hilft ihr beim Wassermischen, sie stehen dicht nebeneinander und seifen die Hände ein, sehen einander im Spiegel an.
»Ich will morgen wieder dahin«, sagt sie trotzig und knetet die Hände, daß der Schaum nur so spritzt. Charlo trocknet sie mit einem Handtuch ab.
»Julie«, sagt er. »Es gibt einmal die Woche Reitstunde. Mehr kann ich mir nicht leisten.«
»Ich kann striegeln«, sagt sie energisch und nimmt ihm das Handtuch weg. »Ich kann ihn streicheln und ihm den Schweif kämmen und so. Ich kann ihm Brot und Möhren geben.«
Sie gehen zu Inga Lill zurück, sie sitzt schon am Tisch.
»Zum Reiten brauchen sie doch soviel Ausrüstung«, sagt sie besorgt. »Stiefel, Helm, Sicherheitsweste, und sicher noch mehr.«
Charlo widerspricht. »Das kann man alles ausleihen«, sagt er. »Und sie kann in den Stiefeln reiten, die sie hat, die haben gute Absätze. Einen Helm kann sie auch leihen. Vielleicht müssen wir eine Reitpeitsche kaufen, die kostet dreißig Kronen. Ja, und dann ein Paar gute Handschuhe. Das ist alles.« Inga Lill schweigt und fängt an zu essen. Julie läßt sie nicht aus den Augen, schaut immer wieder schnell zu Charlo hinüber, ihr geht das alles zu langsam. Aber Charlo arbeitet mit Weitsicht, er kennt Inga Lill, weiß, daß sie Zeit braucht.
»Julie soll nicht wegen deiner Ängstlichkeit leiden müssen«, sagt er und kaut. »Stell dir vor, sie möchte alpin fahren. Da gibt es viele Verletzungen. Oder sie will Handball spielen, da werden ordentlich Schläge ausgeteilt. Und was, wenn sie eines Tages ankommt und mit dem Tauchen anfangen will.«
Inga Lill schaut ihn nachdenklich an. »Naja. Wenn sie nur im Kreis reitet und nicht springt. Wenn sie nicht auf der Straße reitet, sondern in der Halle bleibt, und wenn ein Lehrer dabei ist, dann ist es vielleicht nicht so gefährlich.«
Charlo beißt sich auf die Lippe. »Natürlich muß sie springen dürfen, das macht doch gerade Spaß. Aber sie fangen mit einer Barre an, die auf dem Boden liegt. Sie lernen das von Grund auf.«
»Ich will nicht dabeisein«, sagt Inga Lill. »Ich will das nicht mit ansehen müssen, das verkraften meine Nerven nicht.«
Charlo lächelt. »Aber meine«, sagt er. »Inga Lill. Du hast eine starke Tochter, die kann einiges wegstecken. Und das muß sie dann auch dürfen. Sie wird nie im Leben Ballett tanzen.«
Dann muß er lachen.
»Das wäre übrigens das Härteste, was sie sich aussuchen könnte, da müßte sie wirklich dauernd Schmerzen überwinden. Meine Güte, was bin ich froh, daß du nicht zum Ballett willst, Julie«, er lacht. Sie kichert über ihren Fisch gebeugt, freut sich über ihren Vater, der alles für sie in Ordnung bringt.
»Aber wir müssen sie im Reitverein anmelden. Das ist Vorschrift, weißt du, das hängt mit der Versicherung zusammen. Oder so.« Inga Lill seufzt laut.
»Du solltest froh sein«, sagt Charlo. »Du hast eine Tochter, die etwas will. Du siehst doch, was andere Mädchen treiben, wenn sie älter werden. Die hängen abends vor den Tankstellen herum und machen den Jungs schöne Augen. Da ist es doch besser, wenn sie im Stall ist und sich vernünftig beschäftigt.«
Endlich gelingt ihr ein tapferes Lächeln, und sie gibt sich geschlagen. Julie stopft sich mit Essen voll, sie bereitet sich schon auf ihre neue Zukunft als Reiterin vor.
»Du mußt Pferdemist schaufeln«, sagt Charlo ernst, »das ist eine sehr harte Arbeit.« Sie nickt eifrig, sie freut sich aufs Mistschaufeln, freut sich auf den Rest ihres Lebens, das jetzt beginnt. Sie lächelt Inga Lill dankbar zu. Die sieht müde aus. Schon damals war sie krank, aber das wußten sie nicht.
Die Stunden im Stall bringen Julie und ihn einander näher. Sie teilen alles, Freude und Mühe, Tränen und Lachen. Abends geht es los, egal, wie das Wetter ist, Sommerhitze, Herbststürme, Winter und klirrende Kälte. In der
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