Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
»Falls das irgendwie von Bedeutung ist. Ich bin arbeitslos, schon ziemlich lange. Und Sie können sich ja denken, da werden die Tage lang.« Møller nickt und versteht. Er schiebt Charlo den Vertrag hin.
»Kann schon sein, daß wir uns einigen können«, sagt er. »Ich muß mir das noch in Ruhe überlegen. Doch, wenn Sie sich mit Kleinigkeiten zufriedengeben, jedenfalls für den Anfang. Hier«, sagt er. »Den Rest müssen Sie selber ausfüllen. Der neue Besitzer und die Unterschrift.« Charlo greift zur Feder und unterschreibt. Auf die gepunktete Linie für »Besitzer« schreibt er Julie Torp.
Er sitzt mit einem Bier im Sessel und studiert den Kaufvertrag. Der liegt vor ihm auf dem Tisch, ein goldenes Stück Papier. Als er ihn hochhebt und liest, zittern seine Finger. Er kann fast nicht glauben, daß es stimmt, daß er endlich seine Rechnung begleichen wird. Während er hier sitzt und träumt, sieht er vor sich schöne Bilder von Julie auf dem Pferd. Zugleich ist er innerlich vor Unsicherheit verkrampft. Er hat Angst, daß sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, ihn abweisen wird, ehe er zu Wort kommt. Der Preis war hoch, aber alles kostet etwas, und manchmal kostet es Blut. Er denkt an sein Herz, er kann noch immer die Kerbe sehen, doch jetzt ist sie von grauem Narbengewebe bedeckt. Alle Menschen haben Narben, denkt er, innerlich und äußerlich. Er läßt sich in den Sessel zurücksinken, schaltet weder Fernsehen noch Radio ein, denn jetzt erträgt er die Stille, sie breitet sich im Zimmer aus und läßt ihn ruhig werden. Wieder sieht er Julie vor sich und geht in Gedanken zurück. Sie stellt einen Fuß in den Steigbügel, um sich auf Mephisto zu schwingen. Er hält ihre Jacke fest, es wird ihr immer so warm, und die Reitlehrerin kommt zu ihm herüber, hält ihm etwas hin.
»Die vier letzten Stunden sind noch nicht bezahlt«, sagt sie und reicht ihm den Kontoauszug. Er greift sich an die Stirn, sagt oh, das hab ich ja total vergessen. Julie beobachtet ihn genau, sieht, was passiert, sie treibt das Pferd an, fort von ihm, und verschwindet. Er zieht seine Brieftasche hervor, die ist leer. Am besten kann er sich an diese Schande erinnern, denn es kam immer wieder vor, weil das Geld wie ein stetiger Strom aus seiner Brieftasche in die Automaten fließt, er scheint Geld zu bluten. Charlo verdrängt diese Bilder, er will etwas anderes sehen, etwas Gutes.
Und dann erinnert er sich an Inga Lills Beerdigung. Die Orgel, die flüsternden Stimmen, und Julie, die seine Hand so fest drückt, daß er glaubt, die müsse zersplittern. Wie sollen wir jetzt zurechtkommen, denkt er, Inga Lill war immer die korrigierende Instanz in seinem Leben gewesen. Jetzt ist sie nicht mehr da, er glaubt zu schweben und den letzten Rest Kontakt zur Erde zu verlieren.
Er kommt zu sich und schaut sich im Zimmer um. Er ist jetzt auf der richtigen Spur, er hat sich Arbeit besorgt, jetzt will er ordentlich schuften. Er will all seine Kraft in die Jahre investieren, die ihm noch bleiben, er will sühnen. Auf seine Weise. Er starrt hinaus auf die Straße. Dort stehen einige Autos, er mustert sie sorgfältig, hat es sich in den Kopf gesetzt, daß dieser graue Volvo es auf ihn abgesehen hat. Er kann den Volvo jetzt nicht sehen, und alle Autos dort unten sind leer. Ich werde immer über meine Schulter schauen, denkt er, jedenfalls, bis der Fall verjährt ist. Aber das wird erst in fünfundzwanzig Jahren der Fall sein, vielleicht lebe ich nicht mehr so lange. Aber es wäre schön, diesen Tag zu erleben. Er stellt sich vor, daß die Verjährung fast wie eine Vergebung wäre. Na gut, was du damals in Hamsund getan hast, war schrecklich, aber wir wollen dich jetzt nicht mehr quälen, jetzt warten andere wichtige Fälle. So stellt er sich das vor. Er schaut auf seine Armbanduhr und fragt sich, ob Julie schon im Bett liegt. Vielleicht hält sie ein Buch in der Hand und blättert die Seiten um. Sie hat keine Ahnung von dem, was passieren wird.
AM NÄCHSTEN TAG zählt er die Stunden, die Minuten und die Sekunden.
Es ist elf Uhr, die große Pause, Julie ißt ihr Pausenbrot, sie hält es für einen normalen Tag mit Mathe und Englisch und Sport. Sie weiß nicht, daß ich endlich gehandelt habe, denkt er, für sie, für uns. Sie weiß nicht, was ich ihretwegen und für unsere Zukunft durchgemacht habe. Er läuft von einem Zimmer ins andere und wartet, zieht immer wieder an seiner Zigarette, ist nervös und ungeduldig. Draußen herrscht blasser Sonnenschein,
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