Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
großen Augen. Liest mehrere Male, sieht wieder das Foto an. Hält diese beiden Dinge in der Hand. Ihre Stimme klingt ganz dünn.
»Call me Crazy? Den hast du wirklich gekauft?«
Charlo lacht, sagt ja, ich habe ihn wirklich gekauft. Er ist bezahlt. Er steht in Møllers Reitzentrum. Ein Holsteiner, fügt er hinzu, sechshundert Kilo. »Ich kann dir versprechen, da wirst du ganz schön was zu tun haben.«
Sie läßt sich auf den Stuhl an ihrem Schreibtisch fallen, legt sich über die Tischplatte. Umklammert das Bild, schüttelt wieder den Kopf. So bleibt sie lange liegen. Noch läßt sie die Freude nicht an sich heran, sie wagt es nicht, sie zweifelt.
»Aber wie hast du das geschafft?« fragt sie und sieht ihn an, ungläubig.
Charlo setzt sich aufrecht hin und holt Luft, und danach gibt er die sorgfältig erfundene und absolut glaubwürdige Geschichte zum besten, die er sich zurechtgelegt hat.
»Es ist so, daß Oma sehr viel Erbsilber hatte«, sagt er. »Das hat sie mir als Vorschuß auf die Erbschaft gegeben. Du weißt, alte Menschen, die fangen am Ende ihres Lebens an, aufzuräumen. Und im Pflegeheim hat sie ja auch keine Freude mehr daran. Die Götter mögen wissen, ich hätte es für dich aufbewahren sollen, für kommende Generationen. Aber du lebst jetzt, und ich wollte so gern alles wieder gutmachen. Und deshalb habe ich es zu einem guten Preis verkauft. Ich habe meine Schulden bezahlt, jetzt ist Schluß mit dem ganzen Unsinn, und ich habe jetzt auch wieder Arbeit, eine kleine Stelle im Stall.«
»Erbsilber?«
»Altes wertvolles Besteck«, sagt er. »Das Muster wird nicht mehr hergestellt, und da war es nicht schwer, es zu verkaufen. Aber du, sag das Oma bitte nicht, wenn du sie besuchst, du weißt, wie durcheinander sie ist, und ich möchte nicht, daß sie alles bereut und das Silber zurückverlangt.«
Sie nickt, schaut wieder das Bild an.
»Aber du warst doch zweihunderttausend schuldig. Hast du für das Silber soviel bekommen?«
»Ja, es war auch eine goldene Uhr dabei. Und Kerzenhalter und solche Dinge. Es hat also gerade gereicht.«
»Call me Crazy?«
»Der ist so lieb, wie der Tag lang ist. Laß dir von dem Namen keine Angst einjagen.«
Sie drückt das Bild an sich. Ist noch immer verwirrt, schaut ihn immer wieder kurz an, will sich davon überzeugen, daß er die Wahrheit sagt.
»Julie«, sagt er. »Du hast ja keine Ahnung, wie toll er ist, man kann auf dem Bild die Farbe nicht richtig sehen, weißt du, ich hab es in der Reithalle aufgenommen, da ist nicht genug Licht.«
Dann fließt etwas aus ihr heraus, Mißtrauen und Zweifel.
»Hast du auf ihm gesessen?« fragt sie dann plötzlich. Charlo denkt kurz nach.
»Nur für einen Moment.« Er lächelt bei dem Gedanken.
»Hast du ihn Galopp laufen lassen?«
»Ja, ich bin eine Volte geritten«, antwortet er. »Aber ich habe mich nicht getraut, ein Hindernis aufzustellen.«
»Feigling«, scherzt sie. Sie steht auf und kommt auf ihn zu, setzt sich neben ihn auf die Bettkante. Dann sitzen sie dicht nebeneinander da. Charlo nimmt den Seifenduft ihrer Haare wahr, er möchte sie an sich drücken, tut es aber nicht.
»Wann können wir zu ihm?« fragt sie.
»Wenn du mit den Hausaufgaben fertig bist.«
»Liest du meine Briefe?«
»Ja.«
Er sitzt auf dem Bett und hat die Hände auf den Knien gefaltet, er schaut zu, während sie ihre Schränke durchwühlt, sie legt ein gewaltiges Tempo an den Tag, und er erkennt ihren Eifer, den hat er lange nicht mehr gesehen. Sie sucht eine Reithose, weißt du, die karierte, sagt sie, kannst du dich daran erinnern? Für ihn ist es die pure Freude, hier zu sitzen und sie anzusehen, alles mögliche wird aus dem Schrank geworfen. Pullover, Blusen, Unterwäsche, am Ende findet sie die Hose. Sie streift die Jeans ab und zieht die Reithose an, die ist vielleicht ein bißchen zu weit, aber ich habe keine andere. Er sagt, du wirst schon wieder hineinwachsen, warte nur. Ich habe dir ein Monstrum gekauft, bist du dir darüber im klaren? Sie lacht ihn aus und macht sich über einen anderen Schrank her, auf der Suche nach Reitstiefeln.
»Die sind abgenutzt und vertrocknet, ich muß sie einfetten, das mach ich nachher.«
Sie zieht die Stiefel an. Steht da in ihrer karierten Hose mit der ledernen Sitzfläche und starrt ihre langen Stiefel an.
»Das habe ich so lange nicht mehr angehabt«, sagt sie.
Charlo ist stumm vor Bewunderung. Jetzt erkennt er seine Julie wieder. Er ist nicht mehr allein, er hat Familie wie andere
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