Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
und mustert Julie, jetzt setzt sie mit großer Eleganz zum Revers an, das Pferd korrekt mit geraden Beinen und gesenktem Kopf.
»Meine Fresse«, sagt Møller und schüttelt den Kopf. Charlo wird es heiß unter der Decke. Julie reitet zwei Stunden lang, bis ihre Haare feucht sind und das Pferd dampft.
ES IST MORGEN , er steht früh auf.
Der Küchentisch ist zu seinem Beobachtungsposten geworden, er sitzt am Fenster und ißt, mustert die vorüberfahrenden Autos. Einen Ford sieht er, und bald darauf einen VW-Käfer. Er gibt zwei Teelöffel Zucker in den Kaffee und findet es seltsam, daß er sich so spät im Leben noch diese neue Gewohnheit zugelegt hat, aber es tut gut. Dann kommt ein Taxi angefahren, es ist frei. Das Brot ist nicht frisch, er läßt die Krusten liegen, sie sind zäh und bohren sich in sein Zahnfleisch. Unmöglich, Brot für nur einen Menschen zu kaufen, denkt er. Inga Lill hat das immer gut gemacht, sie hat das Brot in Scheiben geschnitten und die dann in eine Dose gelegt. Die Dose stellte sie in die Tiefkühltruhe, und dann taute sie die Scheiben im Toaster auf und hatte immer frisches Brot. Inga Lill, meine Liebe. Es ist nicht leicht. Aber es geht jetzt leichter, ich habe mich bewegt. Ich mache das richtige. Von jetzt an, das verspreche ich. Ich will, daß Julie stolz ist. Ich will, daß sie mich anderen zeigt und sagt, seht mal, das ist mein Vater. Ist er nicht ein toller Typ?
Er räumt nach der bescheidenen Mahlzeit den Tisch ab. Danach steht er vor dem Spiegel und plustert sich auf. Er senkt die Schultern, schiebt das Kinn vor, sieht, daß er drei oder vier Kilo abgenommen hat, sein Gesicht ist jetzt markanter, und das steht ihm gut. Von seinem Vater hat er die breiten Kiefer und die lange, gerade Nase. Sein Hemd ist blau und grau, die Farben passen zu seinen Augen. Eins nach dem anderen, denkt er, eine Minute nach der anderen leben. Die vielen kleinen Dinge tun, die ehrliche Menschen tun. Die Einzelheiten machen das Leben aus. Sich ein richtiges Frühstück machen, sein Brot mit dem belegen, was man am liebsten ißt, Gouda und Orangenmarmelade. Duschen und rasieren, saubere Kleidung aus dem Schrank nehmen. Mit dem Kamm durch die schütteren Haare fahren. In die Welt hinausgehen zu den Menschen und Dinge in Ordnung bringen. Er zieht die Daunenjacke an und geht zum Auto. Er sieht die Beule nicht an, denn wenn er es doch tut, dann überkommt ihn eine tiefe Verzweiflung. Er fährt durch die Blomsgate, dann über die Brücke auf das Ostufer. Er parkt vor dem Arbeitsamt. Dieser Stadtteil ist bautechnisch ein Chaos, wo schöne alte Holzhäuser von ganz neuen Büroblocks erschlagen werden, es gibt keinen Plan, kein System. Aber das ist sein Teil der Stadt, hier ist er aufgewachsen. Sein Herz hängt an dieser chaotischen Bauweise. Er wirft zwanzig Kronen in die Parkuhr, geht hinein und zieht eine Nummer. Nummer 58. 49 steht am Schalter und hofft auf Hilfe. Er schaut die Leute an, die vor ihm gekommen sind. Man sieht es sofort. Diese Männer sind arbeitslos. Sie leben von der Stütze. Sie haben ihre Würde verloren, es gibt keine Hoffnung in ihren Augen. Voller Gleichgültigkeit lesen sie Broschüren und vermeiden einander anzusehen. Damit muß jetzt Schluß sein, denkt Charlo, ich will keiner von ihnen sein, ich will an der Gesellschaft teilnehmen, ich bin ein junger Mann mit kräftigen Fäusten und genug Grips im Kopf. Es ist für ihn jetzt ganz wichtig, alles richtig zu machen. Er findet einen freien Stuhl, setzt sich gerade hin. Er denkt, hier sitze ich, Charles Olav Torp, ich bin bekleidet mit meinem Verbrechen, ich bin von Kopf bis Fuß von dieser entsetzlichen Untat bedeckt. Wie seltsam, daß sie es nicht sehen, daß es nicht riecht, leuchtet. Kann er das Verbrechen wieder gutmachen, wenn er für den Rest seines Lebens Gutes tut? Nicht der Justiz gegenüber, sondern vor der großen ewigen Buchführung? Wenn es eine solche gibt. Ab und zu meint er ein Stückchen von etwas Größerem erahnen zu können. Wie in dem Moment, als er in Harriets Küche stand, da übernahm ein anderer die Regie. Und er hatte das Gefühl, in die ihm bestimmte Rolle zu fallen. Er wartet eine halbe Stunde lang. Ein langer, schlaksiger Mann ist an der Reihe. Der hat niemals irgendwen umgebracht, denkt Charlo, die Art, wie er vor dem Schalter herumhängt, hat eine Selbstverständlichkeit, die Charlo selber verloren hat. So, wie im Gesicht eines Menschen die Schuld zu sehen ist, ist auch die Unschuld zu sehen, als eine Art
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