Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
steht hinter ihm auf dem Weg und hält eine Einkaufstüte in der Hand. Brauner Mantel, schwarze Stiefel und eine kleine Häkelmütze, die aussieht wie ein alter Kaffeewärmer. Unter der Mütze sieht er einige schneeweiße Locken.
Er murmelt verwirrt eine Antwort, die nicht zu verstehen ist.
»Wenn sie die nicht kriegen, werde ich niemals Frieden finden. Ich wohne gleich neben ihr, in der Fredboes gate 6. Sind Sie vielleicht mit ihr verwandt?«
Sie kommt näher. »Von der Beerdigung kann ich mich nicht an Sie erinnern. Aber das ist vielleicht auch kein Wunder, an dem Tag war ich einfach außer mir.«
Dann schweigt sie und blickt ihn forschend an. Charlo bleibt stumm. Sein erster Impuls ist es, zu fliehen, aber etwas hält ihn zurück. Er muß einen klaren Kopf behalten, also hört er ihr zu, während er in der Tasche die Fäuste ballt.
»Mosse Maier«, sagt sie und streckt ihm eine Hand mit einem braunen Handschuh hin. Er nimmt sie automatisch, drückt vorsichtig zu.
»Ich habe sie gefunden. Ja, ich habe ja Licht bei ihr brennen gesehen, um drei Uhr nachts, und das hat mir angst gemacht. Ich war kurz aufgestanden und schaute aus dem Fenster. Zuerst wollte ich anrufen und fragen, ob alles in Ordnung sei, aber das habe ich nicht über mich gebracht. Im nachhinein habe ich das ja feige gefunden. Aber ich bin alt und ich lebe allein. Mir hat einfach der Mut gefehlt.«
Charlo nickt und hört zu, denn der Wortstrom hält ihn fest, und er kann sich einfach nicht losreißen.
»Aber dann bin ich um sieben aufgestanden, und da brannte noch immer Licht. Auch das war seltsam, Harriet ist nie vor neun aufgestanden. Wissen Sie, sie litt an Gelenkrheumatismus. Viele Schmerzen und Probleme. Ich habe so lange herumgetrödelt wie nur möglich, aber dann bin ich endlich rübergegangen. Ihre Tür stand offen, und ich habe sie in der Küche gefunden. Und ich kann Ihnen sagen, diesen Anblick werde ich nie vergessen. Sie hatten sie ja nicht nur geschlagen, sie hatten sie wirklich in Stücke geschlagen.«
Wieder läßt sie ihre Tüte knistern, er ahnt, daß sie darin eine Blume hat.
»Ich habe sie nicht gekannt«, wirft er kurz ein und dreht sich wieder zum Grab um, »ich kam nur gerade hier vorbei.«
»Ach. So ist das. Ich hatte Sie schon für ihren Neffen gehalten, sie hat einen Neffen im Ausland, den sie oft erwähnt hat. Aber es ist doch schrecklich, nicht wahr?«
Wieder nickt er, hält Ausschau nach einer Möglichkeit, sich wegzuschleichen, aber sie ist noch nicht fertig, sie hält ihn noch immer fest, schmächtig wie sie ist, aber ihr Blick ist blau und intensiv.
»Das Schlimmste ist, daß man solche Angst bekommt.«
Sie geht das letzte Stück zum Grab und macht sich an ihrer Tüte zu schaffen. Ihre Hand zieht einen kleinen grünen Kranz heraus.
»Alles wird dadurch zerstört. Ich kann nachts nicht mehr richtig schlafen. Aus irgendeinem Grund tut es gut, herzukommen. Es beruhigt mich. Jetzt hat sie wenigstens ihren Frieden.«
Sie bückt sich mit einer gewissen Mühe, legt den Kranz vor das Kreuz. »Und die Polizei war mir eine große Hilfe. Sie rufen noch immer an und fragen, wie es mir geht. Schauen ab und zu vorbei. Und das kann ich mit Gewißheit sagen, in diesem Fall werden sie sich nicht geschlagen geben. Die Schuldigen werden gefaßt werden.«
»Waren das denn mehrere?« fragt er und starrt sie an.
»Nein, das weiß ich nicht genau. Aber so, wie es in ihrem Haus ausgesehen hat, würde es mich nicht überraschen. Das Seltsame ist, daß sie offenbar selbst die Tür aufgemacht hat. Harriet legt immer die Sicherheitskette vor, da ist sie sehr genau. Aber sie haben ihr sicher eine gute Geschichte erzählt, jedenfalls hat sie sie ins Haus gelassen. Ich wüßte ja gern, wie das passieren konnte. Etwas habe ich aber daraus gelernt, man kann niemandem trauen.«
Er nickt wieder, geht zwei Schritte, will dieses Gespräch beenden und endlich weg von hier.
»Ja, verzeihen Sie, daß ich Sie damit belästige. Aber ich hatte Sie ja für einen Verwandten gehalten, wie gesagt.«
»Ich kam nur zufällig vorbei«, sagt er noch einmal, »aber ich erinnere mich ja an den Fall, natürlich erinnere ich mich daran. Es stand doch in allen Zeitungen. Es ist übrigens schön hier. Diese Kirche, und der Friedhof. Einer von den schönsten, die ich je gesehen habe.«
Er redet wild drauflos, kann nicht dagegen an, seine Wangen sind jetzt knallrot. Er fährt sich mit den Fingern durch die Haare, stammelt am Ende etwas über das Wetter, daß
Weitere Kostenlose Bücher