Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
klasse.«
Sie hebt ebenfalls ihr Glas, und beim Trinken schauen sie einander in die Augen. Julie nimmt sich ein Stück Pizza, beißt hinein, kaut. Ihr Blick schweift in die Ferne. Charlo denkt, wir sprechen nicht so unbefangen miteinander wie sonst. Was trennt uns hier, warum bin ich so angespannt? Julies grüne Augen sehen so dunkel aus, so ängstlich. Sie scheint etwas zu verschweigen. Charlo legt sein Pizzastück auf den Teller, beugt sich über den Tisch vor, fängt ihren Blick. Er denkt, Angriff ist die beste Verteidigung.
»Du«, sagt er und lächelt. »Du bist heute so nachdenklich. Jetzt erzähl Papa schon alles.«
Sie schaut zu ihm auf. Schluckt. Schüttelt kurz den Kopf.
»Du bist so still«, sagt er deshalb. »Mußt du dir denn so den Kopf zerbrechen?« Sie nickt, schiebt ihren Teller weg. Lehnt sich an die Wand. Ihre Schultern sind spitz, ihr weißer Hals ist so dünn, er sieht die Adern, die grünen feinen Fäden.
»Nun erzähl es Papa schon«, wiederholt er. Sie schaut zu ihm hoch, zieht den Mund zusammen.
»Ich denke an Oma«, sagt sie endlich.
»An Oma?«
Er schaut sie überrascht an, versucht, das zu begreifen. Leckt sich die Lippen, die sind wie ausgetrocknet.
»Ich hab Oma gestern besucht.«
Die ganze Zeit schaut sie ihn immer wieder kurz an, wie um seine Reaktionen zu überprüfen.
»Darüber hat sie sich sicher gefreut«, sagt er rasch, in seiner Verwirrung nimmt er sich noch ein Stück Pizza, auf das er überhaupt keine Lust hat. »Ich meine, auch wenn sie so total verwirrt ist, freut sie sich sicher über Besuch.«
Julie legt die Arme auf den Tisch. Sie schaut ihm in die Augen.
»Oma ist nur manchmal verwirrt«, sagt sie dann. »Zwischendurch ist sie glasklar. Dann kann sie sich an alles erinnern.«
»Ja und?« fragt Charlo. Er beißt in sein Pizzastück, kaut sorgfältig.
»Ich hab sie nach dem alten Schmuck gefragt«, sagt Julie. »Und sie hat dir nie welchen gegeben. Eine Kameenbrosche hat sie nie gehabt. Und altes Silberbesteck auch nicht.«
Charlo bringt ein Lächeln zustande. Er schüttelt resigniert den Kopf.
»Tut mir ja leid, das sagen zu müssen«, sagt er, »aber sie ist einfach nicht mehr klar im Kopf, Julie.« Er beugt sich vor, weiß nicht, woher er die Kraft nimmt.
»Irgend etwas macht dir Sorgen. Sag schon, was es ist.«
Sie sieht plötzlich gequält aus.
»Nein, ich bin nur so nervös. Ich finde in deiner Kiste alten Schmuck und weiß nicht, woher der kommt. Und heute bist du von der Polizei geholt worden. Ich weiß nicht, was ich glauben soll.«
Charlo sieht sie entsetzt an.
»Aber liebes Kind«, ruft er, »machst du dir etwa Sorgen um mich?«
Sie gibt keine Antwort, sie starrt ihn nur an.
»Aber ich habe dir doch alles erklärt, Julie. Sieh mich an!« Er schiebt seinen Teller zurück und sammelt alles, was er an Überzeugungskraft besitzt.
»Wovor hast du denn eigentlich Angst?« fragt er nun.
Sie windet sich ein wenig, fühlt sich überhaupt nicht wohl in ihrer Haut.
»Ich hab Angst, daß du in irgend etwas hineinrutschst.«
Charlo lächelt strahlend.
»Ach so. Aber dann kann ich dich beruhigen. Hör mir jetzt gut zu. Das hier ist wichtig, das mußt du mir glauben. Zum ersten Mal im Leben habe ich alles unter Kontrolle. Zum ersten Mal seit langer Zeit tue ich das, was richtig ist.«
Er greift nach seinem Glas und stürzt die Cola hinunter. »Ich habe meine schlechten Gewohnheiten abgelegt. Ich arbeite hart für Møller, ich kümmere mich um dich und ich komme gut zurecht. Das letzte, was ich auf dieser Welt will, ist, daß du dir Sorgen um mich machst. Denn jetzt geht es mir so gut, ich habe zu so vielem Lust. Und das wissen die Götter – mein halbes Leben habe ich an Blödsinn und schlechte Freunde vergeudet. Aber damit ist Schluß. Ich bin der ehrlichste Mann auf der Welt. Ich hinterziehe keine Steuern, ich trinke nicht, ich schlage nicht. Aber ich kann ja verstehen, daß du das noch nicht so recht glauben kannst, du bist ja Schlimmes gewohnt. Und aus alter Gewohnheit suchst du nach Enttäuschungen. Aber die gibt es nicht mehr, ich habe damit aufgehört. Verstehst du?«
Sie hebt den Kopf und sieht ihn an, lächelt beschämt.
»Verzeihung«, sagt sie leise. »Aber es war wohl ein bißchen zuviel für mich. Daß du plötzlich auftauchst und im Handumdrehen alles in Ordnung bringst. Deine Schulden bezahlst und mir ein Pferd kaufst. Das ist fast zuviel des Guten.«
Er hält das Glas mit beiden Händen und setzt jetzt eine mitfühlende Miene
Weitere Kostenlose Bücher