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Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Titel: Der Mord an Harriet Krohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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sieht sie an und holt Luft. »Und ansonsten«, sagt er fragend, »sehen meine Augen aus, wie sie sollen?«
    Sie zögert. »Ob die aussehen, wie sie sollen? Ja, was soll ich dazu sagen? Sind Sie nicht zufrieden damit?«
    Sie lächelt, verständnislos. Er lacht seine Sorge weg, schüttelt den Kopf. Er geht und ist erleichtert. Sicher sind das die Nerven, denkt er, ich höre jetzt eben auf andere Weise als früher auf meinen Körper.
    Am Abend sitzt er am Küchentisch und spielt zerstreut an einer Pfeffermühle herum. Die ganze Zeit behält er den Verkehr draußen im Auge, kommt vielleicht jemand? Aus einem Impuls heraus dreht er den Deckel von der Pfeffermühle ab und schüttelt die Körner auf den Tisch, sie sind trocken und braun wie Mäusekot und kullern in alle Richtungen davon. Er schiebt sie zu einem kleinen Haufen zusammen. Er denkt über sein Leben nach, darüber, wie er sich verhalten hat. Wenn diese Pfefferkörner seinen Taten entsprechen, den guten wie den bösen. Wenn er eine Waage auf dem Küchentisch hätte, würde die im Gleichgewicht bleiben? Er denkt an die Jahre mit Inga Lill, an die Zeit, in der er alles unter Kontrolle hatte. Die Zeit, in der er sie versorgen konnte, als er noch Arbeit hatte. Sind diese Jahre nicht einige Pfefferkörner wert? Er zählt zehn Körner ab, legt sie in eine imaginäre Waagschale, die linke, für die guten Dinge. Dann kommt die Unterschlagung im Autohaus. Es war keine hohe Summe, aber sie zwingt ihn doch dazu, zehn Pfefferkörner auf die rechte Seite zu legen, für die bösen Taten. Er macht eine Pause und denkt nach. Sein großer Verrat an Julie, daß er ihr ganzes Geld verspielt hat, der ist nicht zu ertragen und wiegt bestimmt zehn Körner. Die Waage hängt bereits schief. Aber dann fällt ihm ein, daß er ja eben erst ein Pferd für sie gekauft hat. Zufrieden legt er zehn Körner auf die linke Seite. Das sieht besser aus. Aber das Allerschlimmste steht noch aus. Der Mord, wieviel wiegt der? Reichen dreißig? Vierzig?
    Er fängt an, Körner zu zählen. Er will ehrlich sein, wenn es um sein Verbrechen geht. Deshalb nimmt er vierzig Körner und legt sie nach rechts. Lange bleibt er sitzen und starrt die beiden Haufen an. Besteht überhaupt die Möglichkeit, hier Ordnung zu schaffen, damit zu leben? Ja. Die Zeit wird alles in Ordnung bringen. Von seinem Leben ist noch viel übrig. Vielleicht vierzig Jahre, vielleicht mehr. Wenn er in der Zeit, die ihm noch bleibt, wirklich an jedem Tag eine gute Tat begeht, kann er dann vielleicht vierzig Körner nach links legen und damit seine Rechnung begleichen? Sofort fängt er wieder an, Körner zu zählen. Man darf ein Leben erst beurteilen, wenn es bis zum Ende gelebt worden ist. Er schiebt die Körner nach links und läßt sich zufrieden zurücksinken. Die Zeit wird für ihn arbeiten, und an seinen Pupillen ist nichts auszusetzen.
    In dieser Nacht schläft er gut. Rollt sich im Bett zusammen wie ein Kind, mit den Händen unter der Wange. Er versinkt in einen leichten flackernden Schlaf und träumt von Julie und Crazy. Sie reiten über einen Strand, Wasser spritzt um die Pferdehufe, der gewaltige Körper glänzt in der Sonne, Julies wunderbare Haare wehen im Wind wie eine rote Fahne. Sie sind schnell, elegant und unbesiegbar, unterwegs in ein Abenteuer. Er wacht auf und ist ganz klar im Kopf. Dann bleibt er eine Weile liegen und starrt die Decke an, wieder läßt er die Augen am Kabel entlangwandern, von der Lampe bis zur Steckdose in der Wand. Er schlägt die Decke beiseite, stellt die Füße auf den Boden, steht auf. Er ist nicht vorbereitet auf das, was passiert. Beide Beine geben unter ihm nach, er kippt mit seinem ganzen Gewicht vornüber, knallt mit dem Kopf gegen den Nachttisch und geht zu Boden. Er verspürt einen stechenden Schmerz und gleich darauf den kalten Boden unter seiner Wange. Er bleibt eine Weile liegen und rudert mit den Armen, während es in seinen Schläfen dröhnt. Er kann nicht glauben, daß das hier passiert, es ist doch vorbei, ihm fehlt nichts, das hat der Arzt gesagt, das hat das Blut gesagt. Das Blut ist rein wie Quellwasser und weist ganz normale Werte auf. Er gibt sich alle Mühe, um aufzustehen, aber die Beine wollen ihm nicht gehorchen. Das ist mehr, als er ertragen kann. Ein gewaltiger Zorn steigt in ihm auf, und er hievt sich mühsam hoch, in einer Mischung aus Wut und Weinen, und setzt sich wieder auf das Bett, schlägt mit der Faust auf die Matratze, flucht laut und inbrünstig. Er mustert

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